Isländer sind die Lese-Weltmeister
Das Land am Polarkreis hat eine enorme Schriftstellerdichte.
Reykjavík. Wer in Island stirbt, dem wird von Freunden oder Verwandten in öffentlichen Nachrufen gehuldigt. „Wenn über jemanden nichts geschrieben wird, dann hat er praktisch umsonst gelebt“, sagt der isländische Autor Hallgrímur Helgason („Vom zweifelhaften Vergnügen, tot zu sein“).
Am besten ist es natürlich, wenn einer zu Lebzeiten selbst schreibt. Was in dem erzählfreudigen Land viele tun: Limerick-Verse gehören zum Nationalsport. Der Schriftstellerverband zählt sogar 400 Mitglieder — in einem Land mit 320 000 Einwohnern, so viele wie Bonn hat.
In keinem anderen Land wird - auf die Einwohnerzahl gerechnet — mehr gelesen und geschrieben. Rund 1500 Neuerscheinungen pro Jahr und 40 Verlage sind ebenfalls stolze Zahlen. Und ausgerechnet die Buchbranche hat 2008 vom Kollaps des Finanzsystems profitiert.
Es wird in Island noch mehr gelesen, sagt Halldór Gudmundsson, der seit vier Jahren den Auftritt seines Landes in Frankfurt mit einem Etat von 2,7 Millionen Euro vorbereitet hat. „Die Menschen besinnen sich wieder auf ihre Traditionen.“
Es sind nicht nur die ewig-langen Winternächte, die auf der am Polarkreis gelegenen Insel zum Lesen verführen. Die Isländer-Sagas aus dem 13. Jahrhundert haben für die Identität des Landes, das erst 1944 seine Unabhängigkeit von Dänemark durchsetzte, eine immens wichtige Rolle gespielt. Denn ein anderes Kulturerbe gibt es im einstigen Land der Bauern und Fischer nicht.
In Island sind die Schriftsteller auch noch intellektuelle Avantgarde, wie der Zusammenbruch des Finanzsystems im Jahr 2008 bewiesen hat. Nachdem die drei großen Privatbanken das eigene Land mit tausenden ausländischen Anlegern in die Tiefe gerissen haben, haben Autoren den öffentlichen Protest angeführt.
Helgason: „Wir waren immer die Guten in der Geschichte, aber da haben wir unsere Unschuld verloren. Ich habe mich geschämt, Isländer zu sein. Und ich habe am Auto des Premierministers gerüttelt und ihn angeschrien.“
Auf der Buchmesse präsentiert sich das Land in einem großen, spärlich beleuchteten Pavillon. Auf Videoleinwänden lesen Männer und Frauen aus ihren Lieblingsbüchern vor. Davor sorgen zahlreiche Sofas für Wohnzimmer-Atmosphäre. Neben geistigen Genüssen bieten die Isländer aber auch Hochprozentiges: Nachmittags wird Branntwein (Brennivin) ausgeschenkt.