J.M.G. Le Clézio: Von Sklaven, Schleusern und Schriftstellern

Der französische Schriftsteller J.M.G. Le Clézio legt sein erstes Buch nach dem Gewinn des Literaturnobelpreises vor.

Düsseldorf. Seinen Vater, der während des Zweiten Weltkrieges als Arzt nach Nigeria ging und von der Familie getrennt lebte, lernte er erst mit acht Jahren bei einer Reise nach Afrika kennen. Der 1940 in Nizza geborene J.M.G. Le Clézio wuchs unter Frauen auf. Das mag ein Grund sein, warum er sich so gut in weibliche Figuren einfühlen kann. Da macht sein neues Buch keine Ausnahme. Es heißt „Der Yama-Baum und andere Geschichten“ und ist das erste seit dem Nobelpreis, den der Franzose mit maurizischen Wurzeln 2008 verliehen bekam. Zehn Texte. In fast allen tragen starke Frauen die Handlung.

Meist durchleben sie Grenzsituationen wie die junge Mari in der Titelgeschichte. Nach dem Tod ihrer Mutter hat sie den Bürgerkrieg in Liberia nur überlebt, weil ihre Großmutter Yama sie in einem hohlen Baum vor den Rebellen versteckt hat, die alle, „denen sie begegneten, vergewaltigten oder töteten und ihnen die Arme abschlugen, damit sie nicht kämpfen konnten“. Bei Onkel und Tante findet das Mädchen ein neues Zuhause und besucht ein von Ordensschwestern geführtes Internat.

Doch der Frieden hält nicht. 2003 brechen die Unruhen wieder los. Plündernde Horden ziehen durch die Straßen, niemandem ist zu trauen, und erneut findet Mari mit Freundin Esmée Schutz in dem alten Baum am Fluss. „Hier hat der Wahnsinn der Menschen keinen Zutritt, sie sind weit weg von der Gier der Menschen nach Macht, ihrem Dürsten nach Blut, ihrem Begehren nach Diamanten.“

Alles, was diesen Autor ausmacht, ist in seinem neuen Buch zu finden. Die exotischen Schauplätze. Die archaischen Motive. Die einfache Sprache. Es geht um Sklaven, Schleuser, Schriftsteller. Le Clézio erweist sich einmal mehr als großer Erzähler moderner Mythen. Er ist ein Weltensammler, der mit seinen in allen Kulturkreisen verständlichen Geschichten die Menschen zusammenbringt. Das macht ihn zu einem würdigen Nachfolger von Robert Louis Stevenson oder Joseph Conrad.

“ J.M.G. Le Clézio: Der Yama-Baum und andere Geschichten. Kiepenheuer & Witsch, 19,99 Euro.