Katja Petrowskaja gewinnt Bachmann-Preis
Klagenfurt/Wien (dpa) - Nie zuvor gab es schon im Vorfeld des Wettlesens um den Ingeborg-Bachmann-Preis soviel Aufregung wie in diesem Jahr.
Dabei ging es nicht um die bisher unveröffentlichten Texte der Autoren oder die oft harten Worte der Jury. Das mögliche Aus der renommierten Auszeichnungen sorgte für eine nicht enden wollende Protestwelle. Am Sonntag zog der in die Kritik geratene österreichische Sender ORF die Handbremse. Den Preis werde es auch weiterhin geben. Nach der Ankündigung ging die würdige Preisträgerin 2013 Katja Petrowskaja für den Text „Vielleicht Esther“ etwas unter.
Gleich zu Beginn der Preisverleihung trat der ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz auf und bekräftigte: „Der Bachmann-Preis bleibt.“ Die Veranstaltung werde weiterhin in Klagenfurt stattfinden und live auf 3sat sowie im Internet übertragen. Der ORF trug bislang die Veranstaltungskosten von rund 350 000 Euro. Sponsoren sollen künftig bei finanzielle Engpässe helfen.
Für viel Applaus und Begeisterung im Publikum sorgte aber nicht nur die sichere Fortsetzung des bekannten Lesefestes. Schnell einigte sich die Jury auf die neue Bachmann-Preisträgerin: Die ukrainische Schriftstellerin und Journalistin Petrowskaja, die in Berlin lebt, habe in ihrem Text eine eindrucksvolle Erinnerungsreise zu einer jüdischen Urgroßmutter ins Kiew von 1941 vorgelegt. „Gute Literaten zeigen im Individuellen das Allgemeine“, sagte die Jurorin Hildegard Keller. Bei der Lesung habe es Tränen der Rührung im Saal gegeben.
Als äußerst gelungene „Aneignung der Vergangenheit durch die Nachgeborenen“ beschrieb der Juryvorsitzende Burkhard Spinnen den Text. Petrowskaja sei eine würdige Nachfolgerin der in Russland geborenen Vorjahressiegerin Olga Martynova. Skepsis schlug Petrowskaja von Juror Paul Jandl angesichts der konstruierten Biografie im komplexen historischen Zusammenhang entgegen: „Mein Einwand ist die erfundene erschossene jüdische Großmutter.“
Wirkliche Eklats wegen der früher oft provokanten Texten gab es aber schon lang nicht mehr. Unvergessen etwa der Aufruhr um Rainald Goetz: Der Autor schnitt sich 1983 während seiner Lesung mit einer Rasierklinge in die Stirn und las blutüberströmt weiter. Der Schweizer Urs Allemann löste 1991 mit seinem Text „Babyficker“ eine Debatte über Moral und Strafwürdigkeit der Kunst aus.
Die größte Aufregung blieb in diesem Jahr eindeutig die bedrohte Fortsetzung des Wettlesens. Die Diskussionen scheint alle Beteiligten aber wieder näher zusammengebracht zu haben. „Was Wasser ist, weiß nur der Durstige“, sagte Spinnen.
Dabei war das Wettlesen bei seinem Start 1977 durchaus umstritten. Es kursierten Gerüchte, dass die Gewinner bereits vor den Lesungen feststanden. Die Annahme änderte sich aber schnell und lag vielleicht auch an der herben Kritik. Das Urteil des bisher prominentesten Jurymitglieds, des Literaturkritikers Marcel Reich-Ranicki, fiel etwa 1977 so hart aus, dass eine Kandidatin weinend davonlief und abreiste. Sie habe keine Literatur, sondern „ein Verbrechen“ produziert, polterte Reich-Ranicki damals.
Solche Ausbrüche gibt es seit Jahren nicht mehr. Aber vielleicht bringt der „schönste Betriebsausflug der deutschsprachigen Literatur“, wie der Wettbewerb am Wörthersee einmal genannt wurde, nach der Existenzkrise im kommenden Jahr wieder etwas mehr Experiment und Wagnis. Denn trotz hohem handwerklichen Niveau und sprachlicher Souveränität fehlte Beobachtern das in den vergangenen Jahren.