Literaturnobelpreis für Doris Lessing: Nach 30 Jahren „Royal Flush“

Die britische Autorin erhält als elfte Frau in der Geschichte der Auszeichnung die Ehre der Akademie.

Düsseldorf. Diesen Pfeil hatte niemand im Köcher. Obwohl zuvor schon die Frau des Stockholmer Akademie-Chefs Horace Engdahl, ihrerseits eine Literaturkritikerin, ihre Stimme erhoben und es als Skandal bezeichnet hatte, dass in der 100-jährigen Geschichte der Akademie erst zehn Frauen als nobelpreiswürdig erkannt wurden. Nun sind es seit gestern immerhin elf. Doch an der Person Doris Lessing teilen sich die Meinungen. So hält Marcel Reich-Ranicki ihr Werk für ebenso wenig preiswürdig wie einst das des italienischen Theatermachers Dario Fo (womit er nicht Unrecht hat). Und Literaturkritiker Denis Scheck befindet, die Wahl der Akademie komme 20 Jahre zu spät und möge ja politisch in Ordnung sein, doch ästhetisch sei sie "eine Pleite".

Das dürften hunderttausende Leser entschieden anders sehen. Doris Lessing hat mit "Das goldene Notizbuch" den ersten Roman der Nachkriegszeit verfasst, der an die experimentellen literarischen Techniken von Virginia Woolf und James Joyce anknüpft; ohne lineare Erzählweise verbindet sie kunstvoll fünf Ebenen. Dennoch gelingt es ihr, sich in spannend erzählender Weise mit so knochendürren, unpoetischen Themen wie dem Stalinismus, dem Rassismus und schließlich der Geschlechterdebatte auseinanderzusetzen. Sie sei eine "Epikerin weiblicher Erfahrung", würdigte die Akademie sie nun, "die sich mit Skepsis, Leidenschaft und visionärer Kraft eine zersplitterte Zivilisation zur Prüfung vorgenommen hat".

Ein umgetriebenes Leben bescherte Doris Lessing diese Erfahrung und Leidenschaft. Geboren am 22. Oktober 1919 als Doris May Taylor im damaligen Persien als Tochter eines Kolonialoffiziers, wuchs sie später in Simbabwe auf und litt nach eigenem Bekunden sehr unter dem kriegsverwundeten, verbitterten Vater und einer spröden, knöchernen, nach viktorianischen Traditionen lechzenden Mutter. Die zwei Söhne aus der ersten Ehe verließ sie, als sie nach London übersiedelte. 1945 heiratete sie den jüdischen Exilkommunisten Gottfried Lessing, um ihn vor weiterer Verfolgung zu schützen und wurde damit die Schwägerin von Klaus Gysi und Tante von Gregor Gysi. Nachdem auch sie viele Jahre Mitglied der kommunistischen Partei war, hat sie sich davon längst losgesagt. "Ich schreibe Geschichten über Männer und Frauen, nicht über Thesen", sagte sie später.

Den ersten literarischen Erfolg bescherte der selbstbewussten Schriftstellerin der Roman "Afrikanische Tragödie" (1949), ihren Durchbruch verdankt sie dem zu Recht bis heute gerühmten "Goldenen Notizbuch". Doch es schlossen sich zahlreiche andere an, darunter "The Good Terrorist" (Die gute Terroristin, 1985) und der gespenstische Roman "Das fünfte Kind" (1988) über Ben, das fünfte und schon im Mutterleib unfassbar zerstörungswütige Kind eines in völliger Scheinidylle lebenden Londoner Ehepaares. Diesen Roman setzte sie in einem zweiten Band fort.

Vita Lessing wurde 1919 als Doris May Taylor im Iran geboren. Ihr Vater, ein britischer Offizier, zog mit der Familie ins britische Südrhodesien (Simbabwe). Ihren ersten literarischen Erfolg erzielte Lessing 1949, als sie nach England übersiedelte ("Afrikanische Tragödie"). Später heiratete sie den deutschen Exil-Kommunisten Gottfried Lessing. 1962 wurde sie mit "Das goldene Notizbuch" zum Inbegriff des Feminismus.

Wichtige Werke (mit Erscheinungsdatum in Deutschland): "Afrikanische Tragödie" (1953), "Das goldene Notizbuch" (1978), "Die Memoiren einer Überlebenden" (1979), "Martha Quest" (1981), "Die gute Terroristin" (1986), "Das fünfte Kind" (1988), "Unter der Haut: Autobiographie 1919-1949" (1994), "Schritte im Schatten: Autobiographie 1949-1962" (1997), "Ein Kind der Liebe" (2004), "Die Kluft" (2007). Hoffmann und Campe hat gerade eine 15-bändige Werkausgabe begonnen.