Maarten ’t Harts „Unter dem Deich“: Madame Bovary auf Holländisch
Maarten ’t Harts „Unter dem Deich“ in wunderbarer Übersetzung.
Düsseldorf. Schon so einiges hat Maarten ‘t Hart erlebt. Als Sohn eines Totengräbers 1944 in Maasluis geboren, arbeitete er sich aus einfachen Verhältnissen hoch. Promovierte, schrieb ein Standardwerk über Ratten und begleitete Regisseur Werner Herzog beim Dreh von „Nosferatu“, mit dem er sich prompt keppelte, weil der kein Herz für Nager zeigte. 1987 widmete er sich ganz der Schriftstellerei.
Im Jahr darauf erschien sein Roman „Unter dem Deich“, der jetzt von Gregor Seferenz wunderbar übersetzt erstmals auf Deutsch erscheint. Ein hinreißendes Sittenbild der Niederlande in den 50er Jahren. Die erste Hälfte beschreibt mit viel Humor aus der Sicht des jungen Maart das Leben in Maasluis mit seinen bizarren Bewohnern. Wie etwa der Kohlenhändler montags mit dem Lastwagen immer herumfährt, um Mietwaschmaschinen zu liefern, weil sich niemand eine eigene leisten kann.
Der zweite Teil erzählt vom Aufstieg und Fall der begabten Clazien. Da sie kein eigenes Zimmer hat, die Geschwister beim Lernen stören, muss sie die höhere Schule aufgeben, arbeitet als Verkäuferin und ehelicht ihren Kollegen Piet. Die erste Chance, aus dem Armenviertel unterm Deich herauszukommen, nutzt sie, lebt in wilder Ehe mit Lehrer Jan. Ein Skandal im protestantischen Maasluis. Am Ende aber muss auch sie leidvoll erfahren, dass so leicht keiner seinem Stand entkommt.
Ein wenig erinnert die Liaison Claziens an die Handlung in Gustave Flauberts Roman Madame Bovary.
Die für ‘t Hart so typische Kritik an sozialen Verhältnissen, Kirche und der Zerstörung der Umwelt wird nicht artikuliert, ist trotzdem immer präsent. Wehmut hängt über diesem Text, der eine Zeit zurückholt, die es nicht mehr gibt. Man merkt, anders als bei manchem seiner neueren Romane, dass Maarten ‘t Hart noch aus dem Vollen schöpfen kann. Die Figuren sind nicht so verschroben, die Handlung ist runder.