Rafik Schami über den arabischen Frühling

Marnheim/Mannheim (dpa) - Der Aufstand in seinem Heimatland Syrien hat den in Deutschland lebenden Schriftsteller Rafik Schami überrascht. Er habe gedacht, die Syrer würden nichts mehr gegen die Diktatur machen, sagt Schami in einem Interview mit der Nachrichtenagentur dpa.

Vom Westen verlangt der Autor mehr Engagement für die Aufständischen in den arabischen Ländern. Rafik Schami floh 1970 aus Syrien und lebt in Marnheim in der Pfalz. Zu seinen erfolgreichsten Werken zählen die Romane „Das Geheimnis des Kalligraphen“ und „Die dunkle Seite der Liebe“.

Herr Schami, wie informieren Sie sich über die Lage in Syrien?

Rafik Schami: „Fast stündlich. Heute ist es keine große Kunst mehr, direkt von einer Demonstration mit Handy, Youtube, Internet oder Facebook genau zu wissen, was passiert ist. Das ist übrigens das, was den arabischen Regimen das Leben schwer macht. Sie können nicht ewig morden und entführen, ohne dass die Weltöffentlichkeit das erfährt.“

Mit welchen Gefühlen beobachten Sie die politische Entwicklung dort?

Schami: „Die Revolutionen in Arabien haben die Welt überrascht. Sie sind etwas ganz Neues in der Menschheitsgeschichte. Die Zivilbevölkerung geht friedlich auf die Straße und führt einen friedlichen Aufstand gegen die ganze Gewaltmaschine der Diktatur, die nicht davor zurückschreckt, auf Kinder und alte Menschen mit Panzern und Scharfschützen zu schießen. Für mich persönlich kam das alles sehr überraschend. Ich habe gedacht, die Syrer machen nichts mehr gegen diese starke Diktatur, die auch vom Westen und Israel erwünscht ist.“

Würden Sie sich ein stärkeres Engagement des Westens wünschen? Und in welcher Form?

Schami: „Der Westen hat bisher nur mit den Diktaturen gearbeitet und das Leid der Millionen Entrechteten übersehen. Nicht einmal uns Intellektuellen und Schriftstellern im Exil hat man zugehört. Es funktionierte prima, das Erdöl so billig wie möglich zu bekommen, Waffen, das teuerste und verachtenswerteste Blech der Welt, zu verkaufen und dazu die Herrscher zu Polizisten für die Grenzen Europas zu degradieren, wie es Gaddafi für Berlusconi gespielt hat. Das ist nun zu Ende.“

Und was nun?

Schami: „Die westlichen Länder und China müssen selbst von dieser Revolution lernen, eine andere Beziehung zu diesen wichtigen Ländern aufzubauen. Sie müssen den Regimen zeigen, dass sie nicht länger zu den Verbrechen gegen die eigene Bevölkerung schweigen. Sie müssen jetzt schon Kontakt zu der jeweiligen Opposition aufnehmen. Sie müssen sie in ihren Hauptstädten empfangen und damit aufwerten. Auch die Medien im Westen sind inzwischen so hintendran mit Informationen, dass ich den Eindruck habe, sie haben keine zuverlässigen Journalisten am Ort, sie verbreiten keine Informationen, sondern machen Politik. Sie setzen die Politik ihrer Regierungen fort und das ist bei Gott nicht die Aufgabe einer demokratischen Presse.“

Besteht die Gefahr, dass Islamisten die Revolution in Ihrem Heimatland missbrauchen? Dass wir bald ein islamistische Regierung in Syrien haben?

Schami: „Jede Revolution kann einen Rückschlag bekommen. Das auszuschließen wäre zu naiv, aber die Islamisten sind völlig gescheitert, und sie wissen das. Die Ziele der Revolution in Tunesien, Ägypten, Syrien, Libyen und dem Jemen sind Freiheit, Demokratie, Gerechtigkeit und damit Bestandteile der westlichen bürgerlichen Revolution. Kein Wort vom Kalifat, kein Wort von Scharia. Deshalb war Bin Laden längst tot, bevor die Amerikaner ihn erwischt haben. Sein Modell ist in Arabien zusammengebrochen. Die Kaida wird da und dort noch Anschläge machen, aber die Völker haben historisch gegen sie entschieden. Sie haben friedlich ihre Herrscher gestürzt, was einen hohen Grad an Zivilisation zeigt.“

Und konkret in Syrien?

Schami: „In Syrien haben die Islamisten keine Chance. Syrien ist eine offene Gesellschaft, in der viele sehr aktive Minderheiten leben: Christen, Alewiten, Drusen, Kurden, Tscherkessen, Yeziden, Assyrer und so weiter. Auch breite Schichten der Sunniten sind mit Europa verbunden und wollen keine Rückkehr zum Kalifat. Dazu kommt: Der Ruf der Fundamentalisten ist in Syrien ruiniert, weil sie durch Bombenlegen und Mordanschläge in den 80er Jahren das Assad-Regime dazu ermuntert haben, zum Polizeistaat zu mutieren. Dazu sind sie Diener des saudischen Hauses, das in Syrien keinen guten Ruf hat.“

Werden die Umbrüche im arabischen Raum auch in Ihr Werk einfließen?

Schami: „Sie haben das bereits gemacht. Zurzeit schreibe ich nicht, sondern höre und beobachte, was die Syrer erzählen. Sie, diese Tapferen, schreiben den besseren Roman. Ich lerne seit Januar wie ein kleiner Lehrling bei einem großen Meister, dem syrischen Volk.“