Roger Willemsen mit 60 Jahren gestorben
Hamburg/Frankfurt (dpa) - Mit seinen markanten Gesichtszügen, gerahmt von der großen Brille, hat Roger Willemsen das Klischee des Intellektuellen auf den ersten Blick schon bestätigt.
Als eloquenter TV-Moderator, Erfolgsautor, Publizist, Dokumentarfilmer oder auch mit Hörbüchern hat Willemsen so viele Talente vereint, dass sich sein vielseitiges kulturelles und mediales Schaffen nicht auf einen einzigen Nenner bringen lässt.
Dabei blieb er stets freundlich, wurde nicht laut, bevorzugte verbal feinsinnig das Florett und nicht den polemischen Säbel. Seine Beobachtungsgabe und die Fähigkeit zuzuhören zeichneten den Vielgereisten aus - auch in seinen Reiseberichten aus vielen Ländern und von den unterschiedlichsten Orten einschließlich Interviews mit Guantanamo-Häftlingen.
Am Sonntag starb Willemsen im Alter von 60 Jahren in seinem Haus in Wentorf bei Hamburg. Im August 2015 hatte er seine Krebserkrankung bestätigt und sich seitdem aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Wie bereits sein Vater verlor auch Roger Willemsen den Kampf gegen die Krankheit.
Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) sagte, Willemsen werde in den großen gesellschaftlichen Debatten des Landes als intelligente Stimme sehr fehlen. Sie und SPD-Chef-Sigmar Gabriel bezeichneten Willemsen als intellektuellen „Weltbürger“.
Rückblick auf Stationen seiner Karriere: In den 1990er Jahren feierte Willemsen große Erfolge mit mehreren innovativen Talk-Showformaten bei dem Pay-TV-Sender Premiere und im ZDF. Als Moderator für sein Interview-Magazin „0137“ - benannt nach der Telefonvorwahl, unter der sich Zuschauer an der Livesendung beteiligen konnten - führte er mehr als 600 Interviews. Der Adolf-Grimme-Preis in Gold war Belohnung dafür. Außerdem interviewte er für das ZDF-Format „Willemsens Musikszene“ Komponisten oder Regisseure von Weltruf wie Pierre Boulez oder Woody Allen. Hoch gelobt wurde auch seine Sendung „Willemsens Woche“.
In der Schweiz moderierte er auf seine feinsinnige Art den „Literaturclub“, die renommierte und älteste Literatursendung im deutschsprachigen Fernsehen - und damit ganz anders als etwa der Polterer Marcel Reich-Ranicki in der ZDF-Sendung „Das literarische Quartett“.
Zu seinen Dokumentarfilmen gehörten „Gerhard Schröder - vom Kandidaten zum Kanzler“ und „Bordelle der Welt“ (beide 1999 ausgestrahlt).
Für den Deutschen Pavillon der Expo 2000 schuf Willemsen aus Gesprächen mit mehr als 50 Künstlern die zehnstündige Videoinstallation „Welcome Home. Künstler sehen Deutschland“. Als Ergebnis einer monatelangen Reise quer durch Deutschland erschien 2002 sein Buch „Deutschlandreise“. Einige Male ließ er sich auf kleine Filmauftritte ein, so etwa in „Kai Rabe und die Vatikankiller“ (1998) oder in der TV-Comedy „Anke“ (2000). Zusammen mit Dieter Hildebrandt machte Willemsen auch Kabarett. Beide traten mit dem Programm „'Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort!' Die Weltgeschichte der Lüge“ auch in der Schweiz und in Österreich auf.
Mit dem Erfolg konnte Willemsen, wie er selber einmal sagte, es sich leisten, nur noch das zu machen, was er wolle. Ein Jahr lang saß Willemsen immer wieder im Bundestag auf der Tribüne und schrieb den Bestseller „Das Hohe Haus“ (2014) über die Rituale des Parlaments. Sein Fazit in einem Interview: „Mein Eindruck war, dass ich eine große Idee im Zustand ihrer Krise sehe. Es kam mir im Parlament vor wie die Begegnung mit einem Phantom: Etwas, für das Menschen gestorben sind oder im Gefängnis sitzen wie in Afghanistan, verwalten wir Deutschen im Zustand der Dekadenz.“
Soziales Engagement lebte der Kosmopolit mit Weltverantwortung vor, er nutzte seine Popularität - etwa als Schirmherr des Afghanischen Frauenvereins. Auch Amnesty International, Terre des Femmes und Care International unterstützte der „große Wanderer zwischen den Welten“, wie Hamburgs Kultursenatorin Barbara Kisseler (parteilos) den Gestorbenen würdigte.
Intellektualität war Willemsen in der Familie mitgegeben. Der Vater des gebürtigen Bonners war Kunsthistoriker und Restaurator von Beruf, die Mutter Sachverständige für Ostasiatische Kunst. Ein Onkel arbeitete als Archäologe in Athen. Roger Willemsen studierte Germanistik, Philosophie und Kunstgeschichte in Bonn, Florenz, München und Wien - und promovierte über Robert Musil.
Bei aller geistigen Durchdringung - Humor und das Thema Liebe waren Willemsen keineswegs fremd. Noch im März 2015 beschäftigten sich er und Moderatorin Katrin Bauerfeind bei einer Lesung auf der Lit. Cologne mit der literarischen Dimension von Kontaktanzeigen. Und im Dezember zuvor hatte er der Zeitschrift „Neon“ auf die Frage, ob er gerade verliebt sei, geantwortet: „Es ist gar nicht lange her, da dachte ich, dass ich das mit der Liebe nun hinter mir habe. Jetzt bin ich aber doch plötzlich wieder in einem aufgeregten Zustand.“ Um dann abgeklärt nachzulegen: „Verliebte Menschen imitieren nur ein Ideal, das sie irgendwo aufgeschnappt haben.“