Schriftsteller Arne Dahl im Interview: „Macht ist fast immer in den falschen Händen“
Die Protagonisten in Arne Dahls neuem Krimi kämpfen für Anstand, Moral und Mitgefühl innerhalb Europas.
Düsseldorf. Arne Dahl gibt es eigentlich gar nicht. Hinter diesem Pseudonym verbirgt sich der schwedische Schriftsteller Jan Arnald. Populär wurde er mit zehn Kriminalromanen um die Stockholmer A-Gruppe, die sich allein in Deutschland mehr als eine Million Mal verkauften. Vor vier Jahren begann der 51-Jährige eine neue Serie um die europäische Spezialeinheit Opcop — soeben ist der dritte Band “Neid” erschienen.
Herr Dahl, bezahlen Sie lieber in Euro oder mit schwedischen Kronen?
Arne Dahl: Mir ist der Euro lieber. Es ist auch wirklich etwas albern, Teil Europas und Mitglied der EU zu sein, aber nicht der Währungsunion beizutreten.
Betrachten Sie sich als typischen Europäer?
Dahl: Ich bin mir nicht sicher. Gibt es so ein Lebewesen überhaupt? In mehr als einer Hinsicht bin ich ein typischer Schwede: Ich halte mich für ziemlich bodenständig, und mich kann nichts so leicht umhauen. Außerdem mag ich keine Hierarchien und friere nicht leicht. Als Intellektueller fühle ich mich allerdings sehr europäisch. Literatur aus Deutschland, England, Frankreich, Spanien, Italien, Griechenland, Dänemark und den Niederlanden hat mich viel mehr geprägt als Bücher aus dem etwas isolierten und beschützten Schweden. Insofern bin ich ein schwedischer Europäer, kein europäischer Schwede.
Können Sie bei Ihren Lesern ein Bewusstsein für politische und gesellschaftliche Themen schaffen?
Dahl: Mit dieser Frage habe ich einige Zeit gerungen. Bedeutet die Tatsache, dass ein Schriftsteller in einem populären Genre schreibt, automatisch, dass seine Texte sich in schnell vergessene Unterhaltung verwandeln? Und falls das so ist: Findet Unterhaltung immer ohne ernsthafte Hintergründe statt? Meine Antwort ist ein lautes Nein! Wenn man gut und aufregend genug schreibt, werden Fragmente ungelöster Fragen und Gedanken in den Blutbahnen der Leser herumreisen und irgendwann einmal auftauchen. Dickköpfig, wie ich bin, bestehe ich übrigens darauf, über Themen zu schreiben, die mich interessieren. Und hoffentlich denken meine Leser darüber genauso wie ich.
Der Kampf für Anstand und Moral ist zentral in Ihrem Roman. Wie steht es um diese Werte im heutigen Europa?
Dahl: Die EU startete als Friedensprojekt und war nebenbei auch ein gemeinsames Geschäftsmodell — man tat alles, um einen weiteren großen europäischen Krieg zu verhindern. In den 1980er Jahren veränderte sich die EU radikal: Die Wirtschaftsleistung war wichtiger als alles andere, wir mussten stärker werden, um mit der Supermacht USA und dem wachsenden China in der globalisierten Welt konkurrieren zu können. Als in den 90ern der Jugoslawienkrieg begann, war klar, dass das Friedensprojekt nur eine Fassade war. Seitdem geht es nur noch ums Geld. Diese Richtung muss sich ändern, wenn wir noch eine Chance haben wollen, das Gesamtprojekt zu retten.
In „Neid“ setzt sich sogar eine mutige EU-Kommissarin für diese Ziele ein. Trauen Sie das einer realen Politikerin zu?
Dahl: Einige wenige setzen sich durchaus für die richtige Richtung ein. Das Problem ist jedoch, dass die Menschen, die an der Macht sind, meist ihre ganze Karriere lang genau das angestrebt haben: an der Macht zu sein. All ihre Visionen haben sie auf dem Weg nach oben verloren, sofern sie je welche hatten. Um Macht als Politiker zu erreichen, muss man oft über Leichen gehen und rücksichtslos sein. Das verringert aber die humanistische Vision. Macht ist unglücklicherweise fast immer in den falschen Händen.