Stéphane Hessel gibt nicht auf
Paris (dpa) - Zusammen sind sie nicht nur 184 Jahre alt. Beide haben auch keine Zeit mehr zu verlieren. Denn das Haus Europa brennt, und dies gilt es zu retten.
„Wege der Hoffnung“ ist eine Art Gebrauchsanweisung für eine bessere Welt. Auf über 60 Seiten zählen Stéphane Hessel und Edgar Morin nicht nur die Übel der Welt auf, sondern geben auch Lösungsvorschläge mit auf den Weg. Das Buch ist eine Mischung aus Hessels 2010 veröffentlichten Streitschrift „Empört euch!“ und Morins 2011 herausgegebenes Werk „Der Weg“.
In dem Buch haben zwei Widerstandskämpfer, Bestsellerautoren und Freunde ihre intellektuellen Kräfte vereint. „Hessel löst eine Reaktion aus, Morin zeigt den Weg“: Einen besseren Werbespruch hätte das französische Verlagshaus „Fayard“ für das in Frankreich vor wenigen Monaten herausgegebene Buch nicht finden können, auch wenn der Verleger von „Empört euch!“ gegen den Slogan protestiert hatte. Begründung: Er würde die Bedeutung der Streitschrift herunterspielen und Morin zu stark in den Vordergrund stellen.
Dabei sieht Hessel die Dinge nicht anders. Mit seiner Streitschrift, von der allein in Frankreich über eine Million Exemplare verkauft wurden, wollte er kein Programm schaffen, kein Manifest, sondern das Verantwortungsbewusstsein der Leser sensibilisieren. „Ich habe ganz bewusst keine Lösungen vorgeschlagen. Dafür gibt es andere Bücher“, sagte er in einem dpa-Interview. Und ergänzte: „La voie“, auf Deutsch „Der Weg“ von seinem Freund Morin.
Das Buch ist für Hessel und Morin, jeweils 94 und 90 Jahre alt, die Gelegenheit, erneut ihre Sicht auf die Probleme der Menschheit darzulegen: Angeprangert werden unter anderem die Macht des Finanzkapitalismus, Entartung des Wettbewerbs, soziale Ungerechtigkeit, Rückschritt des Gemeinsinns, Fremdenhass, Umweltverschmutzung.
Das Buch kann auf 60 Seiten nicht in die Tiefe gehen, dennoch sind Bestandsaufnahme und Lösungsvorschläge differenziert. Die Globalisierung sei nicht nur schlecht, da sie eine Art Schicksalsgemeinschaft schaffe. Es müsse globalisiert und entglobalisiert werden. Die Autoren fordern unter anderem eine Neubelebung der Solidarität, eine Politik des Wohlergehens und eine Multireform für eine pluralistische Wirtschaft.
Als konkrete Lösungen schlagen sie unter anderem „Häuser der Solidarität“ vor, einen zivilen Notdienst, Sozialinvestitionen, Umverteilung von Subventionen, Förderung von Kleinstkreditbanken sowie stärkere Kontrolle des Finanzkapitalismus.
Als Shakespeare-Drama stellen sie uns die Situation dar: „Untergang oder Neubeginn?“ lautet ihre Frage. Um das Schlimmste zu vermeiden, fordern sie eine Renaissance Europas, ein radikales Umdenken in Politik und Gesellschaft. Den Anfang müsse Frankreich machen, wo das Potenzial der politischen Parteien erschöpft sei. Ein Hoffnungsschimmer für die Autoren: „Wege der Hoffnung“ gehörte 2011 zu den meist verkauften Büchern Frankreichs.
Stéphane Hessel, Edgar Morin
Wege der Hoffnung
Ullstein Verlag, Berlin
69 Seiten, 9,99 Euro
ISBN 978-3-550-08006-7