Streich um Streich: 150 Jahre "Max und Moritz"

Vor 150 Jahren vollendete Wilhelm Busch „Max und Moritz“. Es ist das meistübersetzte Kinderbuch aller Zeiten.

Foto: Sabine Braun

Düsseldorf. Die Treibriemen surren: „Rickeracke! Rickeracke! Geht die Mühle mit Geknacke!“ Mehrmals täglich bringt Museumsleiterin Marianne Tillmann das tonnenschwere Mahlwerk der Wilhelm-Busch-Mühle im niedersächsischen Ebergötzen bei Göttingen zum Rattern. Zur Freude von 20 000 Busch-Enthusiasten, die alljährlich das 300 Jahre alte Fachwerk-Denkmal inspizieren.

Foto: Photos Sabine Braun und THomas O

Ebergötzen, eine kleine Gemeinde im Harz-Vorland, ist die Heimat von Max und Moritz. Hier sollen die beiden Lauselümmel vor 150 Jahren dem armen Onkel Fritze mit der Zipfelmütze Maikäfer ins Bett gesteckt haben. Wilhelm Busch hat das Rätsel um die beiden Bengel nie preisgegeben. „Reine Fantasie!“, schmunzelte er stets bei Nachfragen.

Marianne Tillmann widerspricht: „In unserem Ort sind drei Personen aus den Max-und-Moritz-Geschichten historisch belegt: Der fracksteife Lehrer Lämpel, der allerdings Hase hieß, orgelte in der Kirche. Witwe Bolte, die Sauerkohl-Genießerin, lebte mit ihrem Federvieh in direkter Nachbarschaft zur Mühle. Alles lachte über den Schneider Böck, wenn er mal wieder vollgesäuselt in die Aue gefallen war: ,Plumps, da ist der Schneider weg!’“

In Wiedensahl (im damaligen Königreich Hannover) wird Busch 1832 als erstes von sieben Geschwistern geboren, doch seine Kindheit prägt das 150 Kilometer entfernte Ebergötzen. Im Herbst 1841 kommt der Krämer-Sohn in die Obhut des Onkels, Pastor Georg Kleine. Er soll dem begabten Einzelgänger Wilhelm Bildung vermitteln.

In dem Müller-Sohn Erich Bachmann findet Busch dort den Freund fürs Leben. Die Schelme teilen nicht nur den Unterricht beim Pfarrer-Onkel, sondern durchstreifen tagtäglich die Natur. Weiß bemehlt klettern sie durch die Mühle, fangen Forellen, und beim Baden bekleistern sich die Bengel mit Schlamm und lassen sich in der Sonne trocknen, bis sie aussehen wie Pasteten.

Früh zeigt Wilhelm jenes Zeichen-Talent, das ihm eine Karriere bescheren wird: mit wenigen Strichen Wesentliches zu erfassen. Ein Bleistiftportrait, das er als 14-Jähriger von seinem Freund zeichnet, zeigt Erich Bachmann als pausbäckigen, frechen Jungen. Dunkelhaarig, von ähnlicher Statur wie der Max in der Geschichte.

Ein kleines Selbstbildnis Wilhelms weist eine verblüffende Ähnlichkeit mit Moritz auf: schmales Gesicht, blonder Haarwirbel, der bei Moritz zur kessen Tolle wird. Die Freundschaft der ungleichen Männer währt 66 Jahre: Busch, der menschenscheue Künstler. Bachmann, der bodenständige Handwerker.

Das kleinbürgerlich-bäuerliche Milieu des Dörfchens seiner Kindheit fasziniert Busch ein Leben lang. Alljährlich zieht es ihn an den Mühlenbach: „Da schlief´s sich gut. Das Bett wackelte noch wie früher beim Getriebe der Räder, und das herabstürzende Wasser rauschte durch meine Träume.“ Die Kindheitserinnerungen münden schließlich in dem literarischen Nachhall, der Busch berühmt gemacht hat.

Er schuf den Klassiker der Kinderliteratur ab 1863 in seinem Heimatdorf Wiedensahl in Text und Bild. „1864 hat Busch die Geschichte vollendet“, sagt Dr. Kai Gurski vom Wilhelm-Busch-Museum in Hannover. Das beherbergt mit 1500 Zeichnungen und Ölgemälden sowie 50 Bildergeschichten und 900 Briefen mehr als zwei Drittel aller erhaltenen Werke des Künstlers.

Für 1000 Gulden verkaufte Busch sämtliche Rechte an den Verlag Braun & Schneider in München. Eine Summe, die etwa dem doppelten Jahreslohn eines Handwerkers entsprach. Im Oktober 1865 kam die von Pädagogen damals heftig kritisierte „jugendgefährdende Schrift“ in den Buchhandel.

Noch zu Lebzeiten ist der Schöpfer hunderter weiterer berühmter Bildgeschichten („Die fromme Helene“, „Hans Huckebein“) ein gemachter Mann: Seinen Erben vermacht er mehr als 300 000 Goldmark, das entspricht etwa zwei Millionen Euro.

Am 9. Januar 1908 starb der Vater von „Max und Moritz“. Die Körner aus der Mühle sind aber nicht das Letzte, was von den beiden übrig blieb: Ausgaben in mehr als 300 Fremdsprachen lagern heute in der Ebergötzener Mühle und im Wiedensahler Geburtshaus. Die Deutsche Post bringt 2015 eine Sondermarke heraus. Ob Bettwäsche oder T-Shirt — die Vermarktung teilen Max und Moritz mit vielen Kinderbuch-Gestalten.

In Herten bei Essen hält ein Nachfahre in fünfter Generation den berühmten Ahn in Ehren: der Unternehmensberater Wilhelm Busch. Die Gene des Ur-Ur-Großvaters scheinen auf den Namensvetter übergegangen zu sein. Wilhelm Busch hat die Max-und-Moritz-Verse vertont und tritt damit in Schulen und Kulturzirkeln auf: „Die Verse bleiben die vom Alten. Nur tut man sie hier neu gestalten!“