Mit Wasser an der Bar Stuckrad-Barre erlebt die „B-Seite der Nacht“

Hamburg (dpa) - Mit „Panikherz“ gelang Benjamin von Stuckrad-Barre ein Bestseller. Ein halbes Jahr später legt er „Nüchtern am Weltnichtrauchertag“ nach - ein Büchlein mit zwei Texten aus seiner Arbeit als Autor für die Zeitung.

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Erst diese „Vorstudien“ hätten es ihm möglich gemacht, sich an „die erzählerische Ausbeutung dieser großen Erfahrung Sucht“ mit „Panikherz“ heranzuwagen, sagte der 41-Jährige. Bevor er von Freitag (28. Oktober) an auf Lesereise geht, beschrieb er im Interview der Deutschen Presse-Agentur die „B-Seite der Nacht“.

Frage: Samstagabend in Berlin — wie nüchtern sind die Menschen um Sie herum und beim wievielten Glas Wasser sind Sie angelangt?

Antwort: Nüchtern ist niemand außer mir, was sehr angenehm ist. Die anderen schalten gerade alle noch einen Gang hoch, ich werde entsetzlich müde, jetzt Umstieg von stillem Wasser auf solches mit Kohlensäure. Funky. Bald Abgang.

Frage: Mit Benjamin auf ein Wasser an der Bar — wie ernüchternd ist das für Sie und für die anderen?

Antwort: Wichtig ist, beiläufig und niemals demonstrativ Wasser zu trinken. Die anderen, die Alkohol gut vertragen, nicht nerven mit dem eigenen Wassertrinken. Mir selbst fällt mein Nichttrinken gar nicht mehr auf, und ich bemühe mich, dass es auch andere nicht stört.

Frage: Wie lange halten Sie sich schon daran und was hilft dabei?

Antwort: Seit über zehn Jahren. Es hilft die Gewissheit, dass es nur sehr kurz lustig würde für mich — und danach ziemlich rasch außerordentlich bitter. Wenn ich wirklich komplett, und anders ist es mir nicht möglich, die Avenue des Rauschs runterlatsche, wird es biographisch etwas unübersichtlich. Und da war ich schon, da will ich nicht mehr hin.

Frage: „B-Seite der Nacht“ nennen Sie die Nüchternheit in berauschter Gesellschaft — schwingt da Trauer mit?

Antwort: Klar. Ist schon schade manchmal, nicht mit den anderen mitrauschen zu können. Dieses Lösch-Programm für den Kopf, das eine zünftige Saufnacht auch immer ist, dieser Reset-Button, der fehlt mir. Und die Überraschungen, das Ungeplante — nüchtern weiß man immer schon recht genau, wie ungefähr ein Abend verlaufen wird, wie, wann und wo er für einen selbst endet. Was dazu führt, dass man seltener ausgeht. Und das ist ein Verlust, absolut. Aber es geht nicht anders, das habe ich für mich nachdrücklich ausgetestet.

Frage: Manche B-Seiten wurden populärer als das Hauptstück.

Antwort: Die Beatles hatten ja Doppel-A-Seiten, weil sie einfach nur Hits schreiben konnten. Sonst aber ist die B-Seite immer die Schattenseite, und sie zu bevorzugen, das ist so ein Obskuranten-Hobby. Ich mag die Hits, ich will die A-Seite, weiß aber, es gibt keine A-Seite ohne B-Seite — jeder Vorteil hat einen Nachteil.

Frage: Und wenn Ihr Freund Udo Lindenberg Eierlikör auf den Tisch stellt, lehnen Sie ab?

Antwort: Von Udo kann man sehr viel lernen, zum Beispiel: Alkohol trinken, ohne Alkohol zu trinken. So höflich nippen oder so tun als ob. Ihm ist ja eine beneidenswerte, auch im kristallklaren Zustand vorhandene, habituelle Volltrunkenheit zu eigen, also alle Vorteile des Rauschs ohne dessen Nachteile. Und er beherrscht eine Technik, die wirklich nur Vollprofis vorbehalten ist, er nennt es „die eiserne Wand“.

Frage: Und die funktioniert wie?

Antwort: Diese eiserne Wand schnellt Udo zufolge immer hoch, wenn die Alkoholwellen doch mal wieder höher schwappen als üblicherweise, und er ist dann der Deichgraf, der erhaben entscheidet: so weit und nicht weiter. Er hat in den letzten Jahren die Erfahrung gemacht, dass ihm erst die weitgehende Nüchternheit den Erfolg zurückgebracht hat, dass er jetzt wieder Sachen verwirklichen kann, über die er vorher, in seinen Trinkjahren, nurmehr in der Kneipe fabuliert hat.

Frage: Ist Nikotin die letzte Droge, die Sie sich gönnen können?

Antwort: Momentan ja. Aber auch das muss man dann beizeiten mal wieder ändern, weil einfach eine Sucht am Ende immer eine Freiheitsberaubung darstellt. Und eine Sucht zu beenden bedeutet meistens, sie gegen eine andere einzutauschen. „Suchtverlagerung“ wird das genannt. Ich suche also noch nach einer interessanten neuen, die ich dann eintauschen kann gegen das Rauchen. Wenn Sie da Ideen haben: gern!

Frage: Das sich über alle Verbote hinwegsetzende Rauchen des im vergangenen Jahr gestorbenen Ex-Bundeskanzlers Helmut Schmidt empfanden Sie als sehr unangenehm, schreiben Sie.

Antwort: Ich empfand ihn und sein Auftreten immer als sehr unhöflich und unangenehm. Seltsam, dass die Deutschen ihn gerade dafür so geliebt haben: „Der ist immer so toll arrogant“, hieß es. Ich finde aber an Arroganz gar nichts toll. Doch die Deutschen lassen sich einfach gern anschnauzen. Es gibt dazu von Wiglaf Droste den wunderbaren Begriff: anhausmeistern. Helmut Schmidt, auf jedem Podium, in jeder Sendung, jedem Interview, jedem seiner Bücher — er hat in einem fort das Publikum angehausmeistert. Grauenhaft.

Frage: Udo Lindenberg raucht auch gern mal an Orten, an denen es eigentlich nicht gestattet ist…

Antwort: Aber charmant, das ist der Unterschied. Wenn jemand Udo sagt, Verzeihung, Herr Lindenberg, aber Sie dürfen hier nicht rauchen, sagt Udo: „Joah, weißte, dein Job ist, mir das zu sagen — klar, verstehe ich. Aber mein Job ist eben: rauchen, ne? Einer muss den Job ja machen. Wenn ich nicht rauchen würde, da wären viele Menschen unheimlich enttäuscht, kann ich nicht bringen, verstehste?“ Schmidt hingegen hätte dem anderen einfach Rauch ins Gesicht gepustet und dabei noch dargelegt, wie man den Nahost-Konflikt ganz einfach lösen könne.“

Frage: Welches Thema gehen Sie als nächstes an?

Antwort: Ich habe keine Ahnung. Das klingt sehr kitschig, aber bestenfalls läuft es andersherum: Das Thema selbst geht mich an, drängt sich mir auf. Und dann schreibe ich es auf.

Frage: Geht es wieder zurück nach Los Angeles?

Antwort: Ja, unbedingt. Es hat zu tun mit dem Licht. Jahrelang dachte ich immer, das sei ein oberflächlicher Unsinn, jeder Mensch möchte ja tiefgründig sein, und das kommt einem dann zu banal vor: Sonne tut mir gut. Aber es ist so. Die antidepressive Wirkung permanenten Sonnenlichts ist bei mir effektiver als jedes Medikament.

Frage: Sonntagmorgen in Berlin: Redet man sich ein, als Nichttrinker am nächsten Morgen ein Gewinner zu sein oder fühlt man sich zumindest ein bisschen so?

Antwort: Nein, niemals. Aber man erwacht nicht als Zombie und Pflegefall, und das ist zumindest ein Etappensieg.

ZUR PERSON: Benjamin von Stuckrad-Barre ist Schriftsteller, Journalist und Moderator. 1998 veröffentlichte er seinen Debütroman „Soloalbum“, der auch verfilmt wurde. Stuckrad-Barre wurde zu einem der bekanntesten Popliteraten.

- Benjamin von Stuckrad-Barre: Nüchtern am Weltnichtrauchertag.
KiWi-Taschenbuch, Köln, 80 Seiten, 8,00 Euro, ISBN 978-3-462-04960-2.