Taschenbuch-Tipps im März
Es ist, als habe die jüdische Lust am Fabulieren von Familiengeschichten zusammen mit dem lateinamerikanischen Realismus dieses "meschuggene Jahr" (Unionsverlag, 8,90 Euro) des kolumbianischen Professors Memo Anjel gezeugt, eine wunderbare Variante des Erzählens um die Pessach-Hoffnung "nächstes Jahr in Jerusalem".
Wieder einmal scheint sich das alte Versprechen für eine sephardische Familie in Medellin (Kolumbien) nicht zu erfüllen - eine Fehlkonstruktion wie die nicht funktionierende Brotbackmaschine des Vaters, eines chaotischen Erfinders. Doch wenn eine Familie derart zu integrieren vermag - den Geschichten spinnenden Onkel Chaim, seine sauertöpfische Schwiegermutter und deren Töchter, den polyglotten Herrn Sudit und die schwarze Haushaltshilfe Zoila - dann müsste es am Ende doch noch klappen!
Von 1970 bis 1989 schrieb der Maler Matthias Wegehaupt heimlich Tagebuch und versteckte seine täglichen Aufzeichnungen unter dem Dielenboden seines Ateliers auf Usedom. In "Die Insel" (List, 10,95 Euro), dem 1000-seitigen Romanextrakt, schildert er das Leben des Malers Unsmoler, der als Flüchtlingskind mit Großmutter, Mutter und Bruder auf der Insel strandet und nach dem Studium dorthin zurückkehrt in der Hoffnung auf ungestörtes Arbeiten. Doch er gerät bei dem (SED-) "Inselchef" und seinem "Mitarbeiter" (Stasi) in Verdacht; die Liebesbeziehung zu seiner jungen Frau scheitert, er bleibt Außenseiter, der sich halb mit der Macht arrangiert, ihr halb zu entkommen versucht, letzteres auch durch Kontakte zum oppositionellen Adamski (Wolf Biermann). Aus dem Blickwinkel des Entfremdeten schildert Wegehaupt die DDR als Insel.
"Die Leihbücherei verschwand 1953, das Postamt 1956. In diesem Jahr wurde der Hafen zugeschüttet." Das Dorf Jorwerd schrumpft innerhalb von 100 Jahren um die Hälfte seiner Einwohner. Der niederländische Historiker Geert Mak, der bislang im dokumentarischen Stil mit "Amsterdam" die "Biografie einer Stadt" und mit den Bänden "Das Jahrhundert meines Vaters" und "In Europa" Veränderungen in genau gearbeiteten Zeitreisen festhielt, erzählt in "Wie Gott verschwand aus Jorwerd" (btb, 9,50 Euro) anhand der Geschichte eines friesischen Örtchens vom "Untergang des Dorfes in Europa": wie das elektrische Licht die Mentalität verändert, der Schmied den technischen Finessen nicht mehr folgen kann, das Fernsehen an die Stelle abendlicher Treffen rückt, mit der Kirche das kollektive Gedächtnis fällt. Faszinierend-fesselnde Schilderungen!