T.C. Boyle: „Amerika ist ein korruptes System“
Berlin (dpa) - Er gilt als einer der wichtigsten und vielseitigsten Erzähler Amerikas. Der US-Kultautor T.C. Boyle stellte in Berlin erstmals sein neues Buch „Hart auf hart“ vor. Im dpa-Interview geht der 66-Jährige mit den USA hart ins Gericht.
Und verrät, an welchem neuen Projekt er arbeitet.
Frage: Ist es nicht langweilig, bei Interviews und Lesungen immer die gleichen Fragen beantworten zu müssen?
Antwort: Nein, im Gegenteil. Ich freue mich über alle Fragen zu meiner Arbeit: Wann schreiben Sie? Wie schreiben Sie? Wo schreiben Sie? Tragen Sie Unterwäsche, wenn Sie schreiben? Meistens wollen die Leute wissen, wie es geht, damit sie's dann selbst so machen können. Aber nein, im Ernst: Ich finde es eine ungeheuere Ehre, dass die Menschen sich für meine Arbeit interessieren und dass sie es wert finden, in eine Buchvorstellung von mir zu kommen. Und deshalb gebe ich alles, was ich habe.
Frage: Warum erscheint „Hart auf hart“ zuerst in Deutschland?
Antwort: Das ist reiner Zufall. Ich hatte in Amerika in den letzten fünf Jahren jedes Jahr ein neues Buch. Bei „Hart auf hart“ meinte der Verleger dann: Lass uns mal eine Pause machen, die Zeitungen wollen nicht dauernd über Dich schreiben. Die mögen lieber Autoren, die alle zehn Jahre mal was rausbringen. Inzwischen war dann die deutsche Übersetzung fertig, und der Hanser Verlag hat es gemacht. Wer das Original lesen will, muss noch zwei Monate warten.
Frage: Es geht um einen jungen Amokläufer. Gibt es das in Amerika öfter als anderswo?
Antwort: Das frage ich mich auch und genau deshalb habe ich das Buch geschrieben. Ja, ich glaube, dass Amerika sehr viel gewalttätiger ist als andere Gesellschaften, vor allem was den Gebrauch von Waffen angeht. Vielleicht kommt das von dem besonderen Pioniergeist, der uns die Indianer hat mit Waffengewalt vertreiben lassen? Heute gibt es dieses Phänomen des jungen, weißen, geistig verwirrten und entwurzelten Schützen. Statt sich selbst umzubringen, erschießt er alle anderen - nur aus Hass auf eine Gesellschaft, von der er sich unterdrückt fühlt.
Frage: Sind Sie enttäuscht, dass Präsident Obama kein Schusswaffenverbot durchgesetzt hat?
Antwort: Ach, fragen Sie nicht sowas, sonst sitzen wir bis Mitternacht hier! Die amerikanische Politik ist total in der Sackgasse, sie ist von der Waffenlobby gekauft. Die zahlt die immens teuren Wahlkämpfe und entscheidet, wer ins Parlament einziehen kann. Es ist ein korruptes System, wir leben nicht mehr in einer Demokratie. Und dagegen ist auch Präsident Obama machtlos.
Frage: Was müsste passieren?
Antwort: Ich würde alle Wahlkampfkosten strikt beschränken und jedem nur einen bestimmten Betrag geben. Wer einen Cent mehr ausgibt, fliegt raus. Und ich würde die Amtszeit auf sechs Jahre begrenzen, keine Wiederwahl. Solange sich bei uns jeder eine Waffe kaufen kann, wird es weiter Leute geben, die in einer Schule um sich schießen und Kinder umbringen.
Frage: Haben Sie eine Mission, eine soziale Verantwortung als Autor?
Antwort: Ja und Nein. Ich glaube, dass ein Künstler in einer freien Gesellschaft einfach Künstler sein kann, nur für sich selbst, ohne irgendeine Verpflichtung. Aber ich möchte gern, dass Literatur die Menschen erreicht und sie anspricht - und zwar nicht nur Studenten und Akademiker. Deshalb mache ich meine Lesungen auch eher als eine Performance, es soll nicht so intellektuell daherkommen.
Frage: 15 Romane, fast 100 Kurzgeschichten - hatten Sie schon mal eine Schreibblockade?
Antwort: Ich habe immer eine geladene Pistole in der Schublade, falls es passiert ... (grinst)
Frage: Sie gelten als Experte für düstere Geschichten - sind Sie selbst auch so?
Antwort: Ich habe Freude daran, mit Menschen zusammen zu sein. Und ich liebe meinen Beruf, ich liebe die Natur. Aber was die Zukunft der Menschheit betrifft, bin ich so deprimiert wie man nur irgend sein kann. Sieben Milliarden Menschen leben auf der Welt, und die Industrieländer tun, als wären die Ressourcen unendlich. Wir treiben Raubbau an der Natur und zerstören die eigenen Lebensgrundlagen. Es sieht echt nicht gut aus.
Frage: Arbeiten Sie schon an einem neuen Buch?
Antwort: Ja, ich hab' es sogar schon halb fertig. Es wird eine völlig andere Geschichte, eine ökologische Komödie. Natürlich ist es auch düster, aber eine leichtere Düsternis als bisher.
Frage: Können Sie mehr verraten?
Antwort: Der Arbeitstitel ist „Die Terranauten“. Es geht um das sogenannte Biosphären-Experiment Anfang der 90er Jahre in Arizona. Vier Frauen und vier Männer sind zwei Jahre lang in einem geschlossenen Ökosystem völlig von der Außenwelt abgeschnitten - mit eigener Wüste, eigenem Ozean. Es ist witzig. Und very sexy. Bis jetzt hatte ich beim Schreiben viel Spaß.
Frage: Wissen Sie, wie es ausgeht?
Antwort: Wenn ich arbeite, bin ich in einer völlig anderen Welt, wie in Trance. Und die Geschichte entwickelt sich erst von Tag zu Tag bei dieser Meditation weiter. Aber jetzt, wo etwa die Hälfte steht, habe ich auch eine Idee, wie es enden könnte. Mal schauen, ob es wirklich so kommt.
Frage: Warum haben Sie eigentlich noch keinen Literaturnobelpreis?
Antwort: Die müssen einen sehr schlechten Geschmack haben in Stockholm. Aber wenn sie sich eines Besseren besinnen, werde ich ihnen vergeben.
ZUR PERSON: T.C. Boyle (eigentlich Thomas Coraghessan Boyle), 1948 im Bundesstaat New York geboren, gilt als einer der wichtigsten und produktivsten Erzähler der USA. In jungen Jahren ein Herumtreiber und Punk, wurde schon sein erstes Buch „Tod durch Ertrinken“ (1979) ein Erfolg. Seither hat er 15 Romane und rund 100 Kurzgeschichten geschrieben, unter anderem „Wassermusik“, „Willkommen in Wellville“ und „Dr. Sex“