Teofila Reich-Ranicki gestorben
Frankfurt/Main (dpa) - Am Tag, als ihr Vater Selbstmord begeht, lernt die junge Teofila Anfang 1940 Marcel Reich-Ranicki kennen. Dramatischer hätte eine Liebesgeschichte kaum beginnen können. Beide können 1943, ein Jahr nach der Hochzeit im Warschauer Getto, fliehen.
Sie überleben im Untergrund. Fast sieben Jahrzehnte bleibt das Paar zusammen. Am Freitag ist Teofila Reich-Ranicki, Malerin und Frau von Deutschlands Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki (90), in Frankfurt im Alter von 91 Jahren gestorben.
Die kleine und grazile Tosia, wie Teofila von Freunden genannt wurde, stand in Höhen und Tiefen an der Seite des berühmten Literaturkritikers. Während er in seiner impulsiven Art immer das Rampenlicht suchte, blieb sie stets im Hintergrund. Teofila wurde für ihre Klugheit, ihre Beobachtungsgabe und ihren Humor gerühmt. Doch erst im hohen Alter trat sie aus dem Schatten ihres Mannes und wurde als Künstlerin wahrgenommen.
1999 wurden erstmals ihre Zeichnungen veröffentlicht, die das Paar einst auf abenteuerlichen Wegen aus dem Warschauer Getto schmuggeln konnte. Die Blätter zeigen den qualvollen Alltag im Getto - bis auf die Haut abgemagerte Kinder oder prügelnde Nazis.
„Kümmere Dich um das Mädchen“, habe bei der ersten Begegnung seine Mutter gesagt, berichtete einmal Marcel Reich-Ranicki. Eigentlich wollte Teofila Langnas, die am 12. März 1920 in Lodz geboren wurde und aus einer großbürgerlichen jüdischen Kaufmannsfamilie stammte, in Paris Kunst studieren. Schon in jungen Jahren zeichnete Tosia, die mehrere Sprachen beherrschte, leidenschaftlich gern. Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs machte 1939 diese Pläne zunichte.
Die dramatische Geschichte des Paares beschrieb Marcel Reich-Ranicki in seinem Bestseller „Mein Leben“, der 2009 von der ARD auch verfilmt wurde. An der Seite von Matthias Schweighöfer verkörperte Katharina Schüttler die junge Teofila. Diese gab nach dem Krieg das Malen auf. Zu übermächtig schienen die schrecklichen Bilder des Gettos gewesen zu haben.
1958 übersiedelte das Paar von Polen in die Bundesrepublik. Bereits zehn Jahre vorher wurde der Sohn Andrew geboren, der heute als Mathematik-Professor im schottischen Edinburgh lebt. Wie wichtig seine Frau für ihn und seinen Lebensweg war, das hat Marcel Reich-Ranicki immer wieder deutlich gemacht. Am Freitag wollte er sich - von ihrem Tod schwer getroffen - dazu nicht äußern. „Alles dazu steht in meinem Buch“, sagte er unter Hinweis auf seine Autobiografie.
Im Warschauer Getto hatte Tosia nicht nur das Grauen festgehalten. Frisch verliebt machte sie einst ihrem Mann ein besonderes Geschenk. Sie schrieb Erich Kästners „Lyrische Hausapotheke“ akribisch ab und illustrierte das Gedichtbuch. Marcel erhielt es zum 21. Geburtstag. Fast 60 Jahre sollte es dann dauern, bis Tosias Kladde ebenfalls als Buch veröffentlicht werden sollte.