Unvergessen: Vor 40 Jahren starb Erich Kästner
Berlin (dpa) - Wahr gewordener Alptraum eines Schriftstellers: „Im Jahre 1933 wurden meine Bücher in Berlin, auf dem großen Platz neben der Staatsoper, von einem gewissen Herrn Goebbels mit düster-feierlichem Pomp verbrannt“, erinnerte sich Erich Kästner später an die Untat der Nationalsozialisten.
Zwei Dutzend deutsche Schriftsteller wollten die Nazis vor 81 Jahren symbolisch austilgen. „Ich war der Einzige der 24, der persönlich erschienen war“, schrieb Kästner, der vor 40 Jahren (am 29. Juli) im Alter von 75 Jahren in München gestorben ist.
„Plötzlich rief eine schrille Frauenstimme: "Dort steht ja der Kästner!"“ Eine junge Kabarettistin, die sich mit einem Kollegen durch die Menge gezwängt habe, habe ihn stehen sehen und ihrer Verblüffung übertrieben laut Ausdruck verliehen. „Mir wurde unbehaglich zumute. Doch es geschah nichts. (Obwohl in diesen Tagen gerade sehr viel zu "geschehen" pflegte.) Die Bücher flogen weiter ins Feuer.“
Nicht nur diese Zeilen hat Erich Kästner eindrucksvoll verfasst. So generationenübergreifend wie er haben nur wenige Autoren in der deutschsprachigen Literatur geschrieben. Der Durchbruch gelang ihm 1929 mit dem Kinderbuch „Emil und die Detektive“, das etliche Male verfilmt wurde, etwa im Jahr 2001 unter anderem mit Jürgen Vogel.
Kästner hatte für seine jungen Leser stets eine Sprache auf Augenhöhe parat, formulierte nie von oben herab. Auch mit „Pünktchen und Anton“ (1931), „Das fliegende Klassenzimmer“ (1933) oder „Das doppelte Lottchen“ (1949) bewies er diese Kunst. Ein Mann, der sein ganzes Leben lang selbst Kind blieb - neugierig auf Menschen und die Welt.
Die Popularität seiner Kinderbücher erreichte sein „Fabian“ zwar nicht, doch ist dieser Großstadt-Roman von 1931 mit dem Untertitel „Die Geschichte eines Moralisten“ sein Meisterwerk. Erzählt wird aus dem Leben des arbeitslosen Germanisten und Bohemien Jakob Fabian, der Ende der 20er Jahre durchs überhitzte Berlin streift. Eingefangen wird ein Zeitgeist zwischen Politik, Medien, Liebe und Sex, die dem Lebensgefühl von heute näher ist, als man glauben könnte.
Rechtzeitig zum 40. Todestag ist eine Urfassung des Buchs erschienen. Das Manuskript war damals vor Erscheinen gekürzt worden. Jetzt liegt der Roman zum ersten Mal so vor, wie Kästner es ursprünglich wollte - mit dem Titel, der eigentlich geplant war: „Der Gang vor die Hunde“.
Der Journalist und Dichter Kästner („Herz auf Taille“ (1928), „Ein Mann gibt Auskunft“ (1930), „Drei Männer im Schnee“ (1934)) hatte gerade seinen 30. Geburtstag gefeiert, als ihn „Emil und die Detektive“ zum Literatur-Star machten.
Getrieben vom Ehrgeiz der Mutter, war der 1899 in Dresden geborene Kästner schnell aus dem kleinbürgerlichen Milieu seines Elternhauses hinausgewachsen. „Ich musste der vollkommenste Sohn werden“, schrieb er im Rückblick auf seine Jugend. Denn Ida, die vom Leben enttäuschte Mutter, setzte „auf eine einzige Karte, auf mich“.
Erich war ein guter Schüler und erreichte - eine Ausnahme im wilhelminischen Kaiserreich - als Sohn armer Eltern die Aufnahme in das Lehrerseminar seiner Geburtsstadt. Seine Erfahrungen beim Fronteinsatz im Ersten Weltkrieg machten aus dem zunächst eher unpolitischen Kästner einen überzeugten Anti-Militaristen.
In seinen ersten journalistischen Texten machte sich Kästner zum Sprachrohr der kleinen Leute. Er verkehrte bald in Berlin in linksintellektuellen Kreisen, zählte zur geistigen Elite der Weimarer Republik und machte sich früh bei den Nationalsozialisten unbeliebt.
Doch während deren Terrorherrschaft und während des Krieges wähnte sich Kästner in der Hauptstadt nicht wirklich in Gefahr, trotz zweimaliger Festnahme durch die Gestapo. Nicht zuletzt seine Mutter hielt ihn von der Emigration ab. Kästner schlug sich durch, verhielt sich so unauffällig wie möglich.
Die Nazis ließen den eigentlich mit Berufsverbot belegten Kästner sogar für den Farbfilm „Münchhausen“ (1943), der pompös zum 25-jährigen Bestehen der Ufa-Filmstudios mit Hans Albers in der Hauptrolle inszeniert wurde, das Drehbuch schreiben.
Schicksalsschläge suchten Kästner heim: 1939 kam seine Freundin Hertie Kirchner bei einem Autounfall ums Leben, im Februar 1944 zerstörte ein Bombenangriff seine Wohnung. Sein guter Freund Erich Ohser, bekannt als Zeichner unter dem Pseudonym e.o.plauen, nahm sich im selben Jahr das Leben, sein Schriftsteller-Freund Erich Knauf wurde hingerichtet.
In den 50er Jahren trat Kästner, der 1945 von Berlin nach München gezogen war, auf Kundgebungen gegen die Wiederaufrüstung auf. Seine Beliebtheit war in der Nachkriegszeit größer denn je. Er bekam viele Auszeichnungen, 1957 zum Beispiel den Georg-Büchner-Preis. Im selben Jahr wurde Kästner mit 58 Jahren Vater eines Sohnes namens Thomas. 1969 zog sich Kästner, der jahrelang auch Präsident des PEN-Zentrums der Bundesrepublik gewesen war, aus dem Literaturbetrieb zurück. Die letzten Jahre vor seinem Tod 1974 verbrachte Kästner zurückgezogen.
Noch heute ist Erich Kästner Namensgeber vieler Schulen in Deutschland. Das Lebenswerk des scharfsichtigen Beobachters, zeitkritischen Lyrikers und satirischen Aufklärers bleibt zeitlos.
- Erich Kästner: Der Gang vor die Hunde, Atrium Verlag, 320 S., Euro 22,95, ISBN 978-3-85535-391-0.