Vor 50 Jahren erschoss sich Hemingway

New York (dpa) - Nach außen war er ein ganzer Kerl: Großwildjäger, Kriegsteilnehmer, Reporter und Hochseeangler, vor dem keine Bar und keine Frau sicher war. Tatsächlich litt er unter Depressionen und Selbstzweifeln.

Ernest Hemingway war einer der Giganten der Literatur des 20. Jahrhunderts, zugleich aber auch ein Fall wie aus dem Psychologie-Lehrbuch. Vor 50 Jahren, am 2. Juli 1961, erschoss sich der Nobelpreisträger - wie vor ihm schon sein Vater. Auch zwei Geschwister und eine Enkelin starben von eigener Hand.

Rein materiell ging es dem kleinen Ernest Miller Hemingway prächtig. Am 21. Juli 1899 in einem Vorort von Chicago geboren, bekam der Arztsohn von seinem Elternhaus Sicherheit und Bildung. Und wie dankte es der Halbwüchsige? Er wird zum Unmut der Eltern Reporter in Kansas und zieht dann gar als Ambulanzfahrer in den Ersten Weltkrieg. Nach schwerer Verwundung in Italien und nach enttäuschter Liebe kehrt er zurück - und schreibt weiter. Erst Geschichtchen für die Zeitung, dann spannende Reportagen, schließlich Romane.

Mit „Fiesta“ gelingt ihm 1926 der Durchbruch. Von dem Buch ist vor allem die Stierhatz in Pamplona in Erinnerung geblieben. Doch in erster Linie dreht sich der Roman um das Leben der Pariser Künstler, das hauptsächlich in den Cafés stattfand. Eine Hauptfigur war in Kansas Zeitungsschreiber, ging dann als Ambulanzfahrer nach Italien und wurde schwer verwundet - und impotent. Die Parallelen zum Leben des Schriftstellers sind nicht zu übersehen, aber impotent? Ernest Hemingway, der großgewachsene, breitschultrige Hemingway impotent?

Er war es nicht, zumindest nicht dauerhaft, schließlich stammen aus den ersten beiden seiner vier Ehen fünf Kinder. Doch Freunden war bald klar, wie zerbrechlich dieser Kerl war. Mochte er auch als Kriegsberichterstatter im Spanischen Bürgerkrieg gewesen sein, mochte er auch 1944 als erster Amerikaner ins befreite Paris eingefahren sein (was sich später als falsch herausstellte), blieb Hemingway doch ein Getriebener. Alkohol sollte helfen und machte alles nur schlimmer.

Immerhin, 1950 nannte die „New York Times“ ihn den „wichtigsten Schriftsteller seit dem Tod von William Shakespeare“. Vier Jahre später bekam er den Literaturnobelpreis - überfällig nach Meinung seiner Bewunderer und auch seiner eigenen. Heute ist der Blick kritischer, so ganz passt der Kerl nicht mehr ins 21. Jahrhundert: „Zusammen mit anderen Macho-Schriftstellern wie Jack London, Irwin Shaw und Norman Mailer ist sein Werk aus der Mode gekommen“, schrieb Maureen Dowd, wieder in der „New York Times“. Aus den Lehrplänen, in denen „multikulturell korrektere, wenn auch nicht immer so talentierte“ Autoren gepflegt würden, sei er „rausgeschmissen worden“.

Als Hemingway 29 Jahre alt war, hatte sein Vater Selbstmord begangen. Diese Last begleitete ihn ein Leben lang, zusammen mit Depressionen, Erfolgsdruck, Alkohol. Behandelt wurde das damals mit Elektroschocks. Hinzu kam eine Paranoia: Hemingway hatte sich mit dem kubanischen Revolutionsführer Fidel Castro eingelassen, dessen Grausamkeiten aber stets ausgeblendet. In seinen letzten Lebensjahren war er nun überzeugt, dass das FBI jeden seiner Schritte überwache.

Im Frühjahr 1961 fand Mary, seine vierte Frau, Hemingway morgens mit einer Schrotflinte in der Hand. Der Nobelpreisträger kam in eine Klinik, aus der er am 30. Juni entlassen wurde. Zwei Tage später nahm er am frühen Morgen seine Lieblingsflinte, lud sie mit zwei Schrotpatronen, steckte sich den Lauf in den Mund und drückte ab. „Ein Unfall“, teilte die Familie mit. Erst Jahre später gestand Mary ein, dass es Selbstmord war. Überrascht hatte das niemanden mehr.

Ernest Hemingway war bei seinem Selbstmord 61 Jahre alt - genau wie sein Vater 33 Jahre zuvor. Auch seine Schwester Ursula (1966) und sein Bruder Leicester (1982) nahmen sich das Leben. Sein Sohn Gregory, der sich nach einer Geschlechtsumwandlung Gloria nannte, starb 2001 in einem Frauengefängnis in Miami an einem Herzinfarkt. Seine Enkelin Margaux nahm sich 1996 das Leben - am Vorabend des 35. Jahrestages des Selbstmordes des berühmten Großvaters.