Was bleibt von der DDR-Literatur?
Berlin (dpa) - Mit dem Tod von Christa Wolf ist eine Epoche zu Ende gegangen. Darin waren sich Freunde und Weggefährten diese Woche beim Abschied von der großen deutschen Schriftstellerin in Berlin einig.
Wolf galt - wohl mehr denn jede(r) andere - als das Aushängeschild unter den Autoren der früheren DDR, auch wenn sie alles andere war als eine „Staatsdichterin“ (wie sie Marcel Reich-Ranicki einmal nannte). Was wird bleiben von der DDR-Literatur? Und was kommt vielleicht nach?
Der Literaturwissenschaftler und Präsident der Freien Universität Berlin, Peter-André Alt, spricht von einer Zäsur. „Der Tod von Christa Wolf ist ein Einschnitt, den man symbolisch als den Tod der DDR-Literatur bezeichnen kann, denn sie hat sich ja auch nach 1989 sehr intensiv mit dem Leben in der DDR beschäftigt“, sagt er in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. Dennoch gehören ihre Werke wie die zahlreicher namhafter Kollegen längst zum Kanon der gesamtdeutschen Literatur.
Mit ihrer besonderen Mischung von Selbst- und Welterforschung hat Wolf schon mit ihren frühen Erzählungen Maßstäbe gesetzt. „Der geteilte Himmel“ (1963) und vor allem „Nachdenken über Christa T.“ (1968) galten als literarisch gewordene Form der deutschen Zerrissenheit. Und ihre großen Schuldverstrickungsromane wie „Kassandra“ und „Medea“ machten die Spannung zwischen Herrschaftssystem und Individuum aus historischer Perspektive deutlich.
Auch an einen anderen großen DDR-Schriftsteller wird in diesen Tagen erinnert. Am Freitag (16. Dezember) jährt sich zum zehnten Mal der Todestag Stefan Heyms. Der unbequeme Mahner gehörte wie Christa Wolf zu jenen Autoren, die nach den Erfahrungen von Krieg und Nazizeit ihr Schreiben dem Aufbau einer menschlichen Gesellschaft widmen wollten. „Meine Generation ist über Auschwitz zum Sozialismus gekommen“, sagte Wolf einmal.
Heym, homo politicus durch und durch, fiel im diktatorischen System früh und immer wieder in Ungnade - etwa mit seinem Bericht über den Volksaufstand vom 17. Juni 1953 „Fünf Tage im Juni“, der Stalinismusparabel „Der König David Bericht“ oder dem mythologischen Entwicklungsroman „Ahasver“. Wiederholt hatte er Schreibverbot. „Zwischen den Stühlen zu sitzen war meine Dauerposition“, sagte er einmal. Trotz aller Enttäuschung über den real existierenden Arbeiter- und Bauernstaat hielt aber auch er am Traum eines besseren Deutschland fest. Nach dem Fall der Mauer warnte Heym vor einem „Ausverkauf an die Bundesrepublik“.
Andere große DDR-Dichter sind ebenfalls längst tot, ohne dass sich ihr Werk überholt hat: Bertolt Brecht, Anna Seghers und Heiner Müller, Peter Hacks („Die Sorgen und die Macht“), Uwe Johnson („Mutmaßungen über Jakob“), Ulrich Plenzdorf („Die neuen Leiden des jungen W.“), Jurek Becker („Jakob der Lügner“), Erwin Strittmatter („Der Laden“) und viele mehr. Andere wie Volker Braun, Ingo Schulze oder Christoph Hein schreiben noch, wenngleich heute oft in anderen Zusammenhängen.
Immer wieder war umstritten, ob das Werk dieser Autoren überhaupt unter dem Schlagwort DDR-Literatur zusammenzufassen ist. Andererseits hieß es, das Schreiben unter den Bedingungen einer Diktatur habe tatsächlich eine besondere Art von Büchern hervorgebracht. Die Wochenzeitung „Die Zeit“ vertrat zum 20. Jahrestag des Mauerfalls sogar die These, es sei die „aufregendere“ deutsche Literatur gewesen. „Die Panzer im Rücken gedieh über die Jahrzehnte etwas, das es heute neu zu entdecken gilt: jene Literatur, die von einer Erfahrung namens DDR zehrt.“
Daneben gibt es gerade in den vergangenen Jahren eine auffallende Zahl von Autoren, die aus einem größeren zeitlichen Abstand auf die Zeit der längst untergegangenen DDR zurückblicken - allen voran Uwe Tellkamp, der für seinen großen Wenderoman „Der Turm“ 2008 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurde. Auch der diesjährige Preisträger Eugen Ruge („In Zeiten des abnehmenden Lichts“), Angelika Klüssendorf („Das Mädchen“) und Maxim Leo („Haltet Euer Herz bereit“) gehören in diese Kategorie.
Allerdings, sagt Prof. Alt, wird es mehr als 20 Jahre nach dem Fall der Mauer nicht mehr lange Autoren geben, die noch aus eigener Erinnerung an die DDR schreiben. Für das Nachlesen der früheren Werke gilt dann, was „Zeit“-Redakteurin Evelyn Finger in einem persönlichen Nachruf auf Christa Wolf schrieb: „DDR-Literatur muss auch ohne DDR funktionieren, sonst ist sie keine Literatur.“