Weltbürger aus Mexiko: Carlos Fuentes ist tot
Berlin/Mexiko-Stadt (dpa) - Seine ersten Texte schrieb Carlos Fuentes mit sieben, die erste Erzählung veröffentlichte er im Alter von elf Jahren. Mit 30 wurde er Romanautor, und seitdem war der Mexikaner in der spanischsprachigen Welt eine literarische Institution.
In seinen Romanen sezierte er das Wesen des Mexikaners und schlug Brücken zwischen Amerika und Europa. Als linker Intellektueller nahm er immer wieder zu politischen Fragen Stellung, und auch im Alter wurde Fuentes nicht schaffensmüde. Am Dienstag ist der große Erzähler im Alter von 83 Jahren an einem Herzschlag gestorben.
Fuentes war ein Weltbürger, der je die Hälfte des Jahres in Mexiko und in London lebte. Als Sohn eines mexikanischen Diplomaten in Panama geboren, kam er schon früh viel herum auf der Welt. Es war sein Vater, der ihm die Liebe zur Literatur vermittelte.
Bevor er sich ganz dem Schreiben widmete, studierte Fuentes Rechtswissenschaften in Mexiko und Genf und arbeitete als Kulturattaché an einer mexikanischen Botschaft. Viele Jahre später, von 1975 bis 1977, vertrat er sein Land auch als mexikanischer Botschafter in Paris.
1954 erschien Fuentes' Kurzgeschichtensammlung „Los días enmascarados“ (deutsch 1988: „Verhüllte Tage“). In seinem ersten Roman, „La región más transparente“ (1958), der auf Deutsch „Landschaft im klaren Licht“ (1974) heißt, zeichnete er ein Porträt von Mexiko-Stadt.
Es folgten Romane wie „La muerte de Artemio Cruz“ (1962; deutsch 1964 „Nichts als das Leben“) oder aber „Terra Nostra“ (1975, auf Deutsch mit dem selben Titel vier Jahre später). Sie sind alle längst Klassiker der lateinamerikanischen Literatur geworden.
Zusammen mit dem Kolumbianer Gabriel García Márquez (85) und dem Peruaner Mario Vargas Llosa (76) wurde Fuentes zum Exponenten des „Boom“, jener Bewegung, die vor mehr als 40 Jahren die Literatur Lateinamerikas weit über die Grenzen des Subkontinentes hinaus bekanntmachte.
Fuentes schrieb aber nicht nur Belletristik, sondern machte sich auch als Literaturwissenschaftler einen Namen. Er hielt Gastvorlesungen in den USA und hatte zeitweilig eine Professur in Harvard.
Das ebenso enge wie schwierige Verhältnis Mexikos zu seinem nördlichen Nachbarn, den USA, ist Thema von „La frontera de cristal“ (1995), das auf Deutsch „Die Gläserne Grenze“ heißt und hierzulande 1998 erschien.
Wie sehr Fuentes auch das geistige Erbe der Alten Welt inspirierte, zeigte er in „Cambio de piel“, wo aztekische und griechische Mythen zusammenfließen. In „Inquieta compañía“ (Unheimliche Gesellschaft) ließ er vor ein paar Jahren Graf Dracula statt nach London nach Mexiko-Stadt reisen und Unheil verbreiten.
So erlebte man Fuentes immer wieder als literarischen Brückenbauer zwischen Mexiko und Europa. „Der Atlantik ist für mich kein Abgrund, sondern eine Brücke. Die Wasser des Mittelmeers fließen vom Bosporus und Andalusien zu den Antillen und zum Golf von Mexiko“, schrieb er in dem Essayband „En esto creo“ (Woran ich glaube).
Privat erlebte Fuentes einige Schicksalsschläge. Seine beiden Kinder aus zweiter Ehe, Carlos und Natascha, starben im Alter von 25 und 29 Jahren. Nach dem Tod der Tochter schrieb Fuentes im Jahr 2006 den Roman „Todas las familias felices“ (Alle glücklichen Familien) über 16 Familientragödien.
Der Grandseigneur der mexikanischen Literatur gewann in seinem Leben viele Auszeichnungen. Schon 1987 erhielt er den Cervantes-Preis, den höchsten Literaturpreis der spanischsprachigen Welt.
So gut wie jedes Jahr stand er auf der Liste der Nobelpreis-Kandidaten, doch er glaubte am Schluss selbst nicht mehr daran. „Ich selbst werde ihn nicht mehr bekommen. Das heißt nicht, dass er mich nicht interessiert, aber ich glaube, meine Generation wurde mit ausgezeichnet, als García Márquez 1982 den Preis erhielt.“
In einem Interview mit der Deutschen Presse-Agentur sagte Fuentes einmal, es sei für ihn im Leben das Wichtigste gewesen, seiner Berufung folgen zu können. „Dies ist die Formel vom Glück, denn das zu tun, was man mag, ist keine Arbeit.“