Wladimir Kaminer will für mehr Verständnis sorgen
Guadalajara (dpa)- Deutschland präsentierte sich erstmals als Gastland auf der Internationalen Buchmesse (FIL) im mexikanischen Guadalajara. Wladimir Kaminer („Russendisko“) gehörte zu den Autoren, die dort ein neues Bild von Deutschland zu vermitteln versuchten.
Im dpa-Interview berichtet er über seine Erfahrungen.
Wie fühlt sich ein Russe, der gewissermaßen als deutscher Botschafter in Mexiko unterwegs ist?
Kaminer: „Das ist eine schizophrene Situation. Ich bin privat ein Russe und beruflich deutscher Schriftsteller. Jetzt mache ich zusätzlich Werbung für deutsche Sprache und Kultur im Ausland, obwohl ich selbst doch die deutsche Kultur und Sprache erst seit einigen Jahren kennengelernt habe. Ich bin sehr stolz auf diese meine Tätigkeit. Ich bilde mir zumindest ein, einen gewissen Bildungsbeitrag zu leisten auf der Welt. Das heißt, für ein bisschen mehr Verständnis zu sorgen. Es gibt überall so tolle Menschen. Wenn sie mehr voneinander wissen werden, das wäre, glaube ich, eine Bereicherung.“
Was interessiert denn die Mexikaner an Deutschland?
Kaminer: „Ich glaube, dass die Mexikaner alles interessiert. Sie interessieren sich für die Musik in Deutschland, welche Bücher in Deutschland gelesen werden, welche Getränke dort getrunken werden. Und sie vergleichen ihren Alltag mit dem deutschen. Und wir versuchen hier in Mexiko eben, auf mexikanische Art zu leben, mexikanische Getränke und Gerichte zu probieren und mexikanische Musik zu hören.“
Sind Sie denn jetzt vom russischen Wodka zum mexikanischen Tequila übergegangen?
Kaminer: „Ich habe mehrere Sorten (Tequila) gekauft, um mit meiner Schwiegermutter, die alle drei Monate aus Russland, aus dem Kaukasus, zu uns nach Berlin kommt und nicht so auf Wein, sondern auf Hochprozentiges eingestellt ist, um mit ihr dann diesen Tequila zu trinken. Man kann nicht jedes Getränk einfach blind kosten. Man muss die Geschichte dazu kennen. Und so wie zu Wodka ein bestimmtes Essen, bestimmte Gläser, bestimmte Atmosphäre und vor allem eine bestimmte Gesellschaft dazugehören, so ist auch Tequila kein einfaches Getränk. Das habe ich jetzt auch gelernt, dass man ihn nicht einfach runterkippt, sondern es richtig macht. Und wenn man weiß, welche Geschichte hinter diesem Getränk steht, dann verkörpert man auch diese Geschichte.“
Der deutsche Auftritt in Mexiko setzt darauf, ein neues weltoffenes Image von Deutschland zu hinterlassen. Wie passt Wladimir Kaminer da hinein?
Kaminer: „Ich bin jetzt 44. Und ich sehe, dass nicht nur Deutschland, sondern die ganze Welt anders geworden ist. Wir haben heute viel weniger Grenzen. Die Welt ist kleiner geworden. Ich bin in einem Land sozialisiert worden, das es überhaupt nicht mehr gibt. Und es finden sich kaum Spuren im heutigen Russland, von meiner Heimat, der Sowjetunion, obwohl erst etwa 20 Jahre vergangen sind. Durch meine Tätigkeit als deutscher Schriftsteller habe ich die Möglichkeit bekommen, andere Länder und Kontinente kennenzulernen. Jetzt bin ich in Mexiko, auf einem Kontinent, den ich früher nicht kannte. Und ich merke, dass hier die Geschichte nicht weniger kompliziert ist als in Europa. Wenn man die Geschichte aller unter einen Hut bekommen könnte, das wäre doch eine Vision für die Welt.“
Welche Rolle könnte dabei Russland spielen?
Kaminer: „Russland spielt nach wie vor eine große Rolle. Ich habe einen sogenannten russischen Blick auf die Dinge. Die Sowjetunion war ein Land, sicher eine sozialistische Diktatur. Aber sie hatte auch ihre positiven Seiten. Zum Beispiel die Kulturpolitik, die ich in Deutschland und in Europa vermisse. Internationalismus wurde, wie ich finde, erfolgreich gefördert. In der Sowjetunion hat man nicht versucht, eine totale Integration durchzuführen und alle diese Völker und ihre Sprachen mit einem Kamm zu kämmen, sondern umgekehrt: Man förderte jede Minderheit mit allen Mitteln. Jede Minderheit sollte eigene Philosophen, Denker und Künstler hervorbringen, damit sie die große sowjetische Kultur bereichern. Diese Werte des untergegangenen Landes, Solidarität und der Nationalismus als Sackgasse, denke ich, wären für die heutige Vision der Europäischen Union von großer Wichtigkeit. Es gibt immer was zu lernen, auch bei Schurkenstaaten.“