Bayreuther Festspiele: Stück für Stück zertrümmert
Frank Castorf verlegt Wagners „Rheingold“ an eine Tankstelle und die „Walküre“ nach Aserbaidschan.
Bayreuth. Zum 200. Geburtstag Richard Wagners (1813-1883) warten die Bayreuther Festspiele mit einer Neuauflage des 16-stündigen Mammut-Musikdramas „Der Ring des Nibelungen“ auf.
Es ist der 14. „Ring“, der auf dem Grünen Hügel geschmiedet wird. Die Inszenierung vertraute man dem berühmt-berüchtigten Regisseur Frank Castorf an, bekannt auch als „Stückezertrümmerer“.
Und es bewahrheitet sich, was man schon ahnen konnte: Kein Stein bleibt auf dem anderen. Das „Rheingold“, das zunächst bei den naturkindlichen Rheintöchtern angesiedelt ist, sodann bei den germanischen Göttern, spielt bei Castorf an einer US-Tankstelle an der Route 66.
Es geht um das Gold unserer Zeit: das Erdöl. Das passt zunächst zu Wagners Kapitalismus-Kritik. Doch auf seinen ersten Geistesblitz lässt Castorf keinen zweiten folgen. Die Erdöl-Metapher trägt nicht weit, weil es im „Ring“ ja weniger um Rohstoffe geht, als vielmehr um Liebe und Macht.
Dass Liebe eine Rolle spielt, ist Castorf freilich aufgefallen. Und darum befindet sich an der Tankstellen-Rückseite ein halbseidenes Etablissement namens „Golden Motel“, wo es indes weniger um die ideelle Liebe geht, als mehr ums „Liebemachen“. Damit man davon auch was sieht, ist ein Leinentuch aufgespannt, auf das Details filmisch vergrößert projiziert werden.
Diese Technik wendet Castorf auch in der „Walküre“ an. Sie spielt in einer hölzernen Ölförderanlage im Aserbaidschan des frühen 20. Jahrhunderts. Ein roter Sowjetstern kennzeichnet jetzt die Sphäre des Sozialismus.
Über die Leinwand flimmern historische Aufnahmen von Erdölförderungen. Sie lenken mehr von der Handlung ab, als dass sie das Geschehen erklären. Castorfs Falkenblick richtet sich auf Nebensachen, die in Wagners stark illustrativer Musik auch gar nicht vorkommen. Dadurch wird es szenisch leider etwas langweilig.
Musikalisch sind die beiden ersten Abende wiederum Großereignisse. Dirigent Kirill Petrenko entlockt dem Festspielorchester Klänge von ungeheurer Farbintensität und Ausdruckskraft. Von solch symphonischem Zauber kann ein Christian Thielemann nur träumen.
Auch sängerisch erleben wir Spitzenleistungen, vor allem bei den Frauen. Claudia Mahnke singt die Wotan-Gattin Fricka ungemein differenziert und mit Sinn für die Mutterrolle. Grandios ist die dramatische Kraft, die Anja Kampe als Sieglinde entfaltet. Tenor Johan Botha als ihr Bruder Sigmund beeindruckt durch stimmliche Souveränität. Mit diesen Beiden hat die „Walküre“ ein absolutes Traumpaar.
Das Publikum zeigte sich von der musikalischen Seite begeistert. Es wird gejubelt und mit den Füßen getrappelt, dass es im Festspielhaus nur so donnert — vor allem wenn Dirigent Petrenko vor den Vorhang tritt. Der Regisseur hat sich noch nicht gezeigt.
Dass seine Arbeit auf Missfallen gestoßen ist, zeigte sich aber ganz kurz durch einige Buh-Rufe nach „Rheingold“, die eindeutig dem Gesamtkonzept und nicht den Musikern galten. Nach der zweiten Halbzeit, die am Mittwoch mit der „Götterdämmerung“ endet, wird er sich wohl stellen müssen.
Orchester: 5 Sterne
Sänger: 4 Sterne
Inszenierung: 2 Sterne