Berliner Maxim Gorki Theater ist Theater des Jahres
Berlin (dpa) - Das Theater ist seinen Zuschauern immer dann am nächsten, wenn es deren Probleme beackert. Genau das macht das Berliner Maxim Gorki Theater - und dafür wurde die Bühne jetzt von deutschsprachigen Theaterkritikern zum Theater des Jahres gewählt.
An Berlins kleinstem Staatstheater geht es um die Schwierigkeiten in einer multikulturellen Gesellschaft. Es geht um Gewalt in der Großstadt, kriegstraumatisierte Menschen und demnächst auch um das Sexleben der Hauptstädter. „Wie definiert sich in Zukunft Familie, wie Nation und Zugehörigkeit?“, fragt das Theater in einem seiner Stücke.
Die Zusammensetzung des knapp 20-köpfigen Ensembles ist bundesweit wohl einmalig und strahlt Vorbildcharakter aus: Die jungen Schauspieler haben ihre Wurzeln nicht nur in Deutschland, sondern auch in der Türkei, in Kasachstan, Serbien, Russland, Frankreich und Moldawien. Shermin Langhoff, die das Theater am Boulevard Unter den Linden gemeinsam mit Jens Hillje leitet, ist die erste türkischstämmige Intendantin eines deutschen Stadttheaters. Zu den Hausregisseuren gehört die Israelin Yael Ronen.
Gleich in ihrer ersten Spielzeit holten Langhoff und Hillje - Nachfolger des heutigen Stuttgarter Intendanten Armin Petras - nun den begehrten Titel Theater des Jahres. Mit Dimitrij Schaad kommt auch der Nachwuchsschauspieler des Jahres vom Gorki Theater. Zum besten Stück des Jahres wählten die 44 von der Fachzeitschrift „Theater heute“ befragten Kritiker Sibylle Bergs am Gorki Theater uraufgeführtes Werk „Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen“.
„Wir nehmen diese Anerkennung als Ansporn weiterzuarbeiten, zu Erzählen gibt es genug“, so Langhoff und Hillje nach Bekanntgabe des dreifachen Triumphs. Zuvor war das Gorki Theater bereits von den Autoren des vom Deutschen Bühnenverein herausgegebenen Magazins „Die Deutsche Bühne“ zum Sieger der Saison gekürt worden.
Das Gorki-Team dankte ausdrücklich seinem für Experimente und neue Erzählweisen offenen Publikum: „Mit kritischer Neugier hat es unsere Stücke auf der Bühne verfolgt, die Geschichten vom Leben hier und heute, in einer Stadt wie Berlin erzählen, in all ihrer Vielfalt und konflikthaften Widersprüchlichkeit.“
Das neugierige Publikum macht sicher einen Teil des Gorki-Erfolgs aus. Denn: „Es ist kein Virtuosentheater, sondern es ist ein Theater, das etwas im öffentlichen Raum verhandeln will - und das dem Publikum auch sehr gut überträgt“, sagte Franz Wille von „Theater heute“ im Deutschlandradio Kultur.
Das „relativ kleine und vergleichsweise arme Theater“ sei im Ansatz ein ganz klassisches Stadttheater wie andere in der Republik auch. Inhaltlich konzentriere sich das Gorki aber ganz stark auf das Thema Multikulti-Gesellschaft. „Es erzählt von einer anderen Normalität, es erzählt von einer Realität, die multiethnisch ist, die multikulturell ist.“ Das ziehe sich durch alle Produktionen des Hauses.
Nach Ansicht von Wille kann das Theater in dieser Weise wohl nur in einer Großstadt wie Berlin, Hamburg oder Frankfurt am Main funktionieren und ist nicht auf jedes deutsche Stadttheater übertragbar. „Was man sicher übertragen kann, ist der Grundgedanke: Theater ist ein öffentlicher Raum, und in diesem Raum muss es um etwas gehen“, so Wille. „Es ist nicht einfach da, weil es da ist, sondern es ist nur da, weil es zur Auseinandersetzung, zur Debatte, zur Meinungsbildung, auch zum Konflikt beiträgt“, sagte der Theaterkritiker im Deutschlandradio Kultur. „Und das ist etwas, das kann man sich abgucken.“