Bis die ganze Stadt einstürzt
Schauspiel: Karin Beier eröffnet in Köln die Spielzeit mit einem umjubelten Jelinek-Abend.
Köln. Karin Beier trifft in Köln den richtigen Nerv. Seit Beginn ihrer Intendanz am Schauspielhaus feiert sie mit ihren Inszenierungen einen Erfolg nach dem nächsten. Und sie schafft es auch diesmal: Die vierte Spielzeit unter ihrer Regie hat sie mit einem dreiteiligen Jelinek-Abend eröffnet, der so wohl komponiert, so überwältigend gespielt und so deutlich dieser Stadt gewidmet ist, dass es die Zuschauer vor Begeisterung von den Stühlen riss.
Elfriede Jelinek seziert in den drei Stücken "Das Werk", "Im Bus" und "Ein Sturz", wie sich Menschen mit Beton und Technik über die Natur erheben. Im ersten Teil schreibt sie von einem der größten Speicherkraftwerke der Welt in den Kapruner Alpen in Österreich, im zweiten von einem Verkehrsunfall beim U-Bahn-Bau in München und im dritten von den Bohrungen beim Bau der U-Bahn in Köln, die im März 2009 zum Einsturz des Stadtarchivs geführt haben. In jedem Teil gibt es Opfer, in jedem Teil gibt es angeblich keine Täter.
Für diesen wortreichen Abgesang auf den Hochmut der Menschen findet Beier unterschiedliche Erscheinungen, die gerade in ihrem Dreiklang Wirkung entfalten. Vor der Pause zeigt sie in zwei Stunden "Das Werk". 20 Schauspieler und Tänzer, drei Musiker und ein mannstarker Chor geben den Arbeitern in den Alpen eine Stimme. "Vorwärts und nicht vergessen", singen sie. Sie berichten von Zwangsarbeitern, die von Nazis in die Berge verschleppt wurden. Niemand weiß mehr, wie viele dort starben. Wütend erinnern diese Totengeister an sie. Sie bauen sich nahe der Rampe auf, schreien durch Megaphone und skandieren das Schicksal der Menschen. Beier lädt dem Publikum spürbar die Schwere der Ereignisse auf.
Und dann ein Schnitt: Mit gellendem Getöse ziehen drei Gesellen durchs Publikum auf die Bühne: "Im Bus", ein Satyrspiel, das nur wenige Minuten dauert. Michael Weber, Manfred Zapatka und Thomas Loibl geben diese hämischen Totengräber mit Bauhelm und Hirschgeweih. Die Ukulele schrammelnd, berichten sie von der Röhre, die sie für die U-Bahn graben wollten. Und dann war da plötzlich der Krater, in den ein Bus stürzte. Ein gelungener Übergang zu "Ein Sturz".
Als einen Totentanz der Elemente inszeniert Beier, was Jelinek über den Einsturz des Stadtarchivs geschrieben hat. Eine Landschaft voller Schutt (Bühne: Johannes Schütz), in der emsige Büroarbeiter ihre Akten sortieren. In ihrer Mitte tut sich ein Loch auf. Das Wasser steigt. Und niemand will das erdige Wesen (Kathrin Wehlisch) beachten. Bis das Wasser kommt. Buchstäblich aus dem Loch auf der Bühne und übertragen als Tänzer (Krzysztof Raczkowski), der sich mit Mutter Erde vereint und sie mit ins Loch zieht.
Neben diesen poetisch schönen Bildern lässt es Beier krachen. Auf glitschigem Grund rutschen die Stadtarbeiter aus, fallen ins Wasser, versuchen die Quelle mit Karnevalshütchen zu verschließen. Dabei wird nicht gesprochen. Die Stimmen kommen aus Telefon, Radio und Computer. Am Mikrofon bewegt Michael Weber mit angeklebtem Schramma-Schnurrbart die Lippen, wenn aus dem Off der ehemalige Oberbürgermeister Kölns beteuert, dass "die Stadt sich nicht entschuldigen kann. Da muss ja erst mal einer schuldig sein." Bis dahin donnert der Presslufthammer weiter und die Baugötter erklären: "Die U-Bahn kommt. Und wenn die ganze Stadt einstürzt."