Bodenständig: „König Lear“ in München

München (dpa) - „König Lear“ - das war an den Münchner Kammerspielen gut 20 Jahre lang gleichbedeutend mit Dieter Dorn und seiner gefeierten Inszenierung von 1992. Große Schauspieler wie Ralf Boysen, Gisela Stein und Thomas Holtzmann trugen dazu bei, die Aufführung legendär zu machen.

Nun ist Intendant Johan Simons angetreten, das düstere Drama von William Shakespeare neu zu interpretieren. Mit Erfolg, wie die Premiere am Samstagabend an den Kammerspielen in München bewies.

Bodenständig, kraftvoll und mit geschickt eingestreuten Akzenten inszeniert Simons die tragischen Ereignisse rund um den greisen König, der daran zerbricht, dass er ausgerechnet die Tochter verstößt, die ihn wahrhaft liebt. Das Bühnenbild ist einfach aber effektvoll. Das meiste spielt sich auf einer rasenbedeckten Drehscheibe ab. Ein silberglänzender Lamettavorhang deutet Mauern an. Und eine Leuchtschrift über der Bühne gibt an, wo das Geschehen gerade spielt. Ansonsten verlässt sich der Regisseur auf die Dialoge, die den Charakter des mehr als 400 Jahre alten Stückes geschickt in die Moderne übertragen. Sie bestechen trotz der Tragik durch feinen Wortwitz.

Viel Raum gibt Simons der Sprachgewalt seiner Darsteller. André Jung brilliert als alter, verwirrter und dennoch kraftvoller „King Lear“. Ihm zur Seite stehen überzeugend Thomas Schmauser als scharfzüngiger Narr und Peter Brombacher als Graf Gloucester. Der Edelmann fällt auf die Intrige seines unehelichen Sohnes Edmund herein und stößt seinen leiblichen Sohn Edgar von sich. Stefan Hunstein spielt diesen Edmund - selbstverliebt, skrupellos und intrigant.

Bei Simons sind es Eitelkeit und Verblendung, die König Lear und alle anderen ins Verderben stürzen. Während Regan und Goneril ihrem Vater große Gefühle vorgaukeln, bleibt Cordelia bei der Wahrheit. Sie bietet ihm die reine Liebe eines Kindes - „nicht mehr, nicht minder“, wie sie selbst sagt. Lear reicht das nicht. Er schickt Cordelia fort, enterbt und gedemütigt. Zu spät erkennt er, dass die Beteuerungen der anderen beiden wertlos waren.

Ein kleines Rätsel bleibt der Auftritt einer Herde Schweine auf der Bühne. Eine Provokation sind sie nicht, mehr als kurzes Raunen gibt es nicht im Zuschauerraum. Ihr Auftritt betont das Ursprüngliche, Schmutzige, Kernige des Dramas. So schreibt Dramaturg Koen Tachelet auch im Programmheft von einem Bauerntheater, in dem Menschen und Tiere sich annähern. Doch wirklich notwendig sind die Schweine nicht - sind doch die Dialoge so intensiv, dass es keiner Verstärkung bedarf.

Immer wieder entfaltet das Stück eine große Wucht, vor allem am Schluss, als König Lear die entsetzlichen Folgen seines Irrtums erkennt. Zurück bleibt ein einsamer alter Mann, der bis zuletzt seine Würde und Strahlkraft bewahrt, aber dennoch an gebrochenem Herzen stirbt. So simpel und klar kann Theater sein - und so bewegend.