Bolschoi Theater erhält nach Skandalen neue Führung
Moskau (dpa) - Ein Säureanschlag auf seinen Ballettchef, schwere Machtkämpfe unter Künstlern und nun noch ein Strafverfahren wegen Millionenbetrugs: Das legendäre Moskauer Bolschoi Theater kommt seit Monaten nicht zur Ruhe.
Da die Skandale nur noch abseits der Bühne spielen, zieht das russische Kulturministerium die Reißleine - wohl auch aus Angst um den Ruf seines wichtigsten internationalen Kultursymbols. Generaldirektor Anatoli Iksanow, einst von Kremlchef Wladimir Putin eingesetzt, muss nach 13 Jahren gehen.
Einer, der im Schatten des weltberühmten Musentempels mit dem Moskauer Stanislawski-Musiktheater eine beachtliche Konkurrenz aufgebaut hat, soll das Bolschoi aus seiner schwersten Krise führen. Der 66 Jahre alte Wladimir Urin ist zwar fünf Jahre älter als Iksanow, wird aber als erfolgreicher Theatermanager gelobt. Er gilt als entscheidungsfreudiger und weltoffener Kulturschaffender.
Die Aufgabe, das Bolschoi als wichtigste Opern- und Ballettbühne des Landes mit rund 2500 Mitarbeitern aus der Krise zu führen, gilt als Herkulesaufgabe. „Das Bolschoi Theater braucht lebensnotwendig frisches Blut“, meinte Putins Kulturberater Wladimir Tolstoi, verwandt mit dem berühmten Dichter Leo Tolstoi. Er hofft, dass Urin auch neues Personal ans Bolschoi bringe.
Es war aber Operndiva Anna Netrebko, die schon Mitte Juni vor einem Konzert auf dem Roten Platz in Moskau besonders klare Worte fand: „Da muss man einfach alle entlassen, alles ändern, von Kopf bis Fuß“, sagte die Sängerin. Die Star-Sängerin kann sich in der Zukunft auch ein Engagement an dem größten Theater ihrer Heimat vorstellen.
Nun hat zwar Urin selbst gleich im Theatersaal vor versammelter Belegschaft beteuert, keine Revolution anzetteln zu wollen. Er strebe nach Eintracht. Kritiker warnen jedoch, dass das Bolschoi etwa im Vergleich zum Mariinski Theater in St. Petersburg unter seinem quirligen Leiter Waleri Gergijew und mit Netrebko zunehmend an Gewicht verliere.
Iksanows Rauswurf sei „überfällig“ gewesen, twitterte der Parlamentsabgeordnete Alexej Puschkow erleichtert. „Der Zustand des Bolschoi fügte doch schon dem internationalen Image Russlands Schaden zu“, meinte er. Seit längerem sieht sich Iksanow Vorwürfen ausgesetzt, er habe bei der milliardenschweren Sanierung des klassizistischen Säulenbaus schlimme Fehler gemacht. Ermittelt wird wegen Millionenbetrugs. Mitarbeiter sprechen zudem von Baupfusch.
Besonders aber nach dem Säureanschlag auf Ballettchef Sergej Filin am 17. Januar schien dem Generaldirektor die Kontrolle gänzlich zu entgleiten. Der später als Drahtzieher des Attentats inhaftierte Startänzer Pawel Dmitritschenko warf der Theaterleitung kriminelle Machenschaften vor. Auch der inzwischen entlassene Solist Nikolai Ziskaridse gab Iksanow mehrfach öffentlich die Schuld an eskalierenden Machtkämpfen unter den Tänzern um die begehrten Rollen.
Erst dieser Tage trat ein neuer Konflikt zutage, als die Starballerina Swetlana Sacharowa wohl aus Ärger über die Besetzungspolitik Auftritte absagte. Entgegen ihrer Gewohnheit sollte die einflussreiche Tänzerin mit besten Kontakten zum Kreml nicht den Premierenabend an diesem Freitag (12. Juni) tanzen, sondern andere Aufführungen. Am Ende verzichtete sie ganz.
Der Wutausbruch der Tänzerin und nun das plötzliche Aus für Iksanow trafen nun ausgerechnet den Stuttgarter Ballettintendanten Reid Anderson, der am Bolschoi das Ballett „Onegin“ einstudiert. Der Kanadier, dem Haus seit langem verbunden, zeigte sich dennoch gelassen: „Die Proben für "Onegin" hier am Bolschoi Theater verlaufen sehr positiv und ruhig. Wir sind zuversichtlich, dass die Premiere wie geplant stattfinden wird und freuen uns alle sehr darauf.“