Cool: „Postmigrantisches Theater“ in Berlin
Berlin (dpa) - Deniz hat keine Lust mehr auf „Türken-Tussen“. Die Schauspiel-Diva will lieber Tanja Huber spielen, eine Anwältin aus Berlin-Mitte. Im Hörspielstudio des Radiosenders „Deutschland im Funk“ soll eigentlich eine türkische Liebesgeschichte aufgenommen werden.
Aber die Sprecher wollen nicht. Also improvisieren sie: Die Story wandert von Istanbul nach Frankfurt (Oder). Das Chaos nimmt seinen Lauf, bis gegen Ende der Produzent brüllt: „Ich lass euch alle abschieben!“ Welche Klischees haben wir im Kopf? Das ist Thema der Komödie „Funk is not dead!“, die am Mittwochabend im Ballhaus Naunynstraße in Berlin-Kreuzberg ihre deutsche Erstaufführung gefeiert hat.
Das Stück von Idil Üner und Tuncay Kulaoglu basiert auf dem japanischen Film „Radio No Jikan“. Die Inszenierung über ein Hörspiel, das außer Kontrolle gerät, hat Spielfreude und Tempo. Das deutsch-türkische Ensemble macht sich mit Selbstironie über Vorurteile und den verkrampften Umgang mit Migranten lustig. Das kommt gut an.
Früher war man schnell allein bei Regisseur Fatih Akin und Schriftsteller Feridun Zaimoglu, wenn es um deutsch-türkische Kultur ging. Heute ist die Szene sichtbarer geworden: Das 2008 wiedereröffnete Ballhaus hat mit seinem etwas anderen Blick auf Multikulti und Integration schon öfter von sich reden gemacht.
Das Stichwort dafür lautet „postmigrantisches Theater“. Klingt wahlweise nach Uni-Seminar oder Kopfschmerzen, aber Besucher sollten sich nicht abschrecken lassen. Die Inszenierung „Verrücktes Blut“ zum Beispiel, eine Koproduktion mit der Ruhrtriennale, war für den „Spiegel“ der „Hit der Saison“.
Auch andere Kiez-Theater wie der „Heimathafen Neukölln“ sind mit Stücken rund um Integration erfolgreich. „Arabqueen“ nach dem Roman von Güner Balci läuft vor ausverkauften Rängen. Solche Inszenierungen sind leicht zugänglich. Sie bieten sich auch für Berlin-Besucher an, die abseits der großen Bühnen ins Theater gehen und danach vielleicht noch Neukölln und Kreuzberg als Ausgehmeilen entdecken wollen.
In Berlin leben 800 000 Menschen, die nicht-deutscher Herkunft sind. Kulturstaatssekretär André Schmitz findet, dass ihr Potenzial zu wenig zur Geltung kommt. „Das ist ein großer Schatz, den wir hier zu heben haben“, sagte Schmitz bei der Premiere im Ballhaus. Das Theater nahe dem Kottbusser Tor ist für ihn ein Vorreiter. Das haben auch andere erkannt. Intendantin Shermin Langhoff wird im Februar mit dem renommierten Kairos-Preis der Hamburger Alfred Toepfer Stiftung ausgezeichnet - mit 75 000 Euro einer der höchstdotierten Kulturpreise in Europa.