Der „reiche Jude“ als Kunstfigur
Fassbinders „Müll“-Stück löst in Mülheim keinen Skandal aus.
Mülheim/ Ruhr. Der Skandal blieb aus. Die Premiere von Rainer Werner Fassbinders Stück "Der Müll, die Stadt und der Tod" am Theater Mülheim an der Ruhr verlief ohne Störungen.
Es ist damit die erste öffentliche Aufführung des angeblich antisemitischen Stücks um einen jüdischen Immobilienspekulanten in Deutschland überhaupt. Inszenierungen in Frankfurt (1985) und Berlin (1998) scheiterten bereits im Vorfeld - obwohl Fassbinders Opus inzwischen in Paris, New York oder sogar Tel Aviv über die Bühne ging.
Auch in Mülheim wurde im Vorfeld heftig diskutiert. Der Zentralrat der Juden und die jüdische Gemeinde vor Ort machten sich nach einem Probenbesuch für die Absetzung stark.
Hausherr Roberto Ciulli blieb jedoch stur und servierte das Skandal-Stück nun im Fassbinder-Dreierpack, flankiert von dessen Erstling "Nur eine Scheibe Brot", das von den Schwierigkeiten eines Regisseurs beim Dreh eines Films über Auschwitz erzählt, und von der Satire "Blut am Hals der Katze", in der es um die Doppelzüngigkeit einer vorurteilsbelasteten Gesellschaft geht.
Ciullis dramaturgischer Kniff besteht darin, den Abend schlicht "Fassbinder" zu nennen und die drei Hauptfiguren der Stücke mit der Schauspielerin Simone Thoma zu besetzen. Im "Brot"-Stück tritt sie im Matrosenanzug als Filmregisseur auf, der an der Darstellung des Grauens verzweifelt.
Ein Fingerschnippen zaubert die KZ-Szenen hervor; die Zigarette dient als unentbehrliches Accessoire. Von der geschlechtlichen Ambivalenz der Matrosenfigur bis zum Spiel zwischen Imagination und Wirklichkeit sind die Verweise auf Fassbinder unübersehbar.
Bruchlos geht der Abend dann auf Thomas Hoppensacks Straßen-Bühne mit einem Altarraum samt Schminkspiegel in das "Müll"-Stück über, das Fassbinder 1975 geschrieben hat. Simone Thomas als "A., der reiche Jude" liegt als verschrobener Millionär mit weißer Mütze im rollenden Sarg. Eine Kunstfigur, die sich in die blonde Hure Roma B. (Carlotta Salamon) verguckt.
Fassbinder hatte im Spiel mit Klischees zwischen Immobilienspekulation und gesellschaftlichem Antisemitismus einen Zusammenhang gesucht. Ciulli nimmt dies zurück in eine individuelle Opfer-Rache-Phantasie. In der Figur des reichen Juden, der sich an Romas faschistischem Vater rächen will, spiegelt sich Fassbinder, der sich als Opfer einer repressiven Gesellschaft vorstellt.
Trotz mancher Längen ein sehenswerter, wenn auch politisch entschärfter Abend. Vielleicht ist mehr aber auch nicht möglich.