Schrille Groteske Hauptmanns „Weber“ produzieren Jeans
Hamburg (dpa) - Gerhart Hauptmanns Sozialdrama „Die Weber“ von 1893/94 hat der ungarische Regisseur Kornél Mundruczó in die globalisierte Welt der Jeans-Billigproduktion verfrachtet. Als schrille und laute, dabei nicht immer schlüssige und erhellende Groteske aus Zeiten des Turbokapitalismus mit unter anderem vielen Kinderdarstellern und einem Hund.
Bei der Premiere am Samstagabend in Hamburgs Thalia Theater im Rahmen des Großfestivals „Theater der Welt“ gab es viel Beifall - Mundruczó musste aber auch Buhrufe einstecken. Der auch als Filmregisseur renommierte und 2014 in Cannes (für „Underdog“) prämierte 42-Jährige hatte am Thalia etwa 2009 sein Studioprojekt „Judasevangelium“, 2015 „Dementia“ gezeigt.
Formal sind Mundruczós „Weber“, die einen realen Aufstand 1844 in Schlesien behandeln, eine Mixtur aus zweistöckiger Bühne, Filmszenen auf großer Leinwand, wüsten Percussion-Momenten durch die eigens gecasteten Jung-Darsteller sowie Opernmusik und Pop-Gesang. Das alles meist in schlesischem Dialekt, dessen Worte um des besseren Verstehens willen auch auf der Leinwand erscheinen. Der Abend mündet in einen zerstörerischen Sturm der ausgebeuteten Arbeiter auf die Hamburger Luxusboutique ihres Chefs. Der mit Marmor, Vergoldung und Edelblumen ausgestattete Laden ist im Obergeschoss der von Márton Àgh geschaffenen Bühne.
Darunter, in niedrigem Halbdunkel, schuften - detailliert und atmosphärisch geschildert - jung und alt in Heimarbeit an Schneidetischen, Nähmaschinen und Waschbecken. Lassen sich höchstens mal von bunten Maulwurf-Animationsfilmen aus altmodischen Fernsehapparaten berieseln. Rechts an der Wand stehen ein alter Kühlschrank und ein schmutziger Herd. Und damit nun auch jeder Zuschauer verstehe, wie hautnah diese Verhältnisse ihn angehen, bietet ein älterer Schauspieler an der Rampe ein Paar Jeans für 50 Euro an mit den Worten „Im Laden kostet so'n Ding 110 Euro.“ Um den Ladenpreis dann durch derzeit angesagtes Zerfetzen und Verschmutzen auf durchaus realistische 500 Euro hochzuschrauben.
In diesem Elendsmilieu haust Familie Baumert. Die Tochter Emma (Marie Löcker) hatte mit ihrem hungernden Sohn Fritz zuvor in der Boutique bei Arbeitgeber Dreißiger (Bernd Grawert) um Lohnerhöhung gebeten. War aber zynisch abgeschmettert worden. Nun wäscht sie ihre vor Schmerzen stöhnende alte Mutter (Victoria Trautmannsdorff), deren Körper von Schwären bedeckt ist, in einem Becken. Der Ton ist rau bei den Baumerts. Der Vater (Matthias Leja) will seine Frau vergewaltigen. Er hat seit Jahren kein Fleisch mehr gegessen und schlachtet den vom kleinen Fritz geliebten Hund. Dazwischen ruft der Arbeiter Moritz Becker (Jörg Pohl) zur Revolte auf, gegen die später Pastor Kittelhaus (ebenfalls Leja) heuchlerisch an predigt.
Drastisch zelebriert Mundruczó auch die Dekadenz der Familie Dreißiger eine Etage darüber. Als die Aufständischen sich dem Laden nähern, steckt die Frau (wiederum Löcker) ihrem Mann Goldbarren ins Hinterteil, um das Vermögen zu retten. Just in dem Moment verlassen, wie bereits zuvor, einige Besucher den Saal.
Kurz vor der Premiere hatte Thalia-Intendant Joachim Lux bei einer kleinen Feierstunde den mit 3000 Euro dotierten ITI-Preis des Internationalen Theaterinstituts an die junge israelische Autorin und Regisseurin Yael Ronen (Berlin) verliehen. Das Institut ist Urheber der 15. Ausgabe von „Theater der Welt“: 330 Veranstaltungen an mehreren Spielorten gibt es bis zum 11. Juni in Hamburg. Zu den Angeboten des ersten Wochenendes gehörten eine Weltpremiere aus den Vereinigten Arabischen Emiraten und Ägypten, Wael Shawkys „The Song Of Roland: The Arabic Version“ auf Kampnagel sowie eine optisch-akustische Schiffsfahrt mit den australischen Künstlern Flynn & Humphrey unter dem Titel „Five Short Blasts“.