Meine erste Platte „Charlie Parker hat mich umgehauen“

Es war ein Konzert mit dem Startrompeter Louis Armstrong und seinen Allstars, das am 16. Oktober 1952 im ehemaligen Thalia Theater am Islandufer in Elberfeld stattfand, das bei Dieter Fränzel das Interesse und die lebenslange Liebe für Jazz weckte.

Dieter Fränzel mit den Platten, die sein Leben geprägt haben.

Foto: Schwartz, Anna (as)

Es war ein Konzert mit dem Startrompeter Louis Armstrong und seinen Allstars, das am 16. Oktober 1952 im ehemaligen Thalia Theater am Islandufer in Elberfeld stattfand, das bei Dieter Fränzel das Interesse und die lebenslange Liebe für Jazz weckte. „Schon in der Jugendzeit hatte ich mich für Musik interessiert, doch bei uns zu Hause war das kein Thema. Meine Begeisterung für Jazz wurde geweckt, als ich Louis Armstrong in einem Konzert im Thalia Theater erleben durfte, das war toll. Zu der Zeit gab es im Tal schon einige Amateurbands, die Dixieland spielten, aber mein Schlüsselerlebnis war eine Platte von Charlie Parker auf dem Label Jazztone“.

Damals war Fränzel gerade mal 18 und noch Schlosserlehrling bei der Firma Rittershaus & Blecher. Er war zehn Jahre Fabrikarbeiter in wechselnden Stellen, begann aber schon zunächst nebenbei, später als Fulltimejob, Jazzkonzerte und Festivals zu organisieren. Jazzschallplatten waren in den ersten Nachkriegsjahren in Wuppertal noch nicht einfach im Handel erhältlich und es war oft schwierig, sie zu bekommen. „Die Jazztone Platten im EP-Format mit 33 Umdrehungen konnte man nur nach Katalog über den Versandhandel erwerben. Ich habe einige Scheiben auf Verdacht bestellt, ohne die Musik zu kennen. Jedenfalls hat mich der Jazz von Charlie Parker total umgehauen, so etwas hatte ich noch nie gehört. Der Drive, die Intensität des Zusammenspiels, Parkers rasante Improvisationsläufe auf dem Altsaxophon, unglaublich“.

Auf der Platte hörte Fränzel auch zum ersten Mal die Trompete von Miles Davis, der gerade mal 20 war. Diese Art der Jazzmusik, der damalige Bebop, hat ihn endgültig infiziert. „Ich habe dann Gleichgesinnte gesucht und wir haben auf einem Trümmergrundstück am Oberdörnen in Barmen einen Jazzclub gegründet.“ Dort fanden sie einen angeblich 500 Jahre alten Gewölbekeller, den Fränzel mit Freunden mit primitiven Mitteln als Club eingerichtet hat. „Das war unsere Jazzkatakombe. Dort wurde neben Dixieland auch schon Modernjazz live gespielt.“ Heute steht auf dem Grundstück ein Kindergarten. Es war einer von vielen von Fränzel initiierten Clubs, wo in Kohlenkellern und ehemaligen Bunkerräumen, wie zum Beispiel am Platz der Republik in den späten 1950er Jahren der Jazz in Wuppertal eine Heimat fand.

Die Langspielplatte „The Shape Of Jazz To Come“ von Ornette Coleman, die Dieter Fränzel 1960 beim damaligen Radio- und Schallplattengeschäft Schwiebert in Elberfeld gekauft hat, war eine weitere wichtige Jazzplatte, die für ihn zugleich ein extremes Hörerlebnis darstellte. „Das war unerhört, revolutionär. Coleman hat den Free Jazz eingeleitet.“ Schon zu dieser Zeit gab es verschiedene Clubs in Wuppertal, meist privater Natur, in denen Jazz gespielt wurde, allerdings vorwiegend Traditional. „Gegenüber vom Schauspielhaus gab es einen Club in einer ehemaligen Garage, genannt ‚Rumpelkammer‘. Die hatten dort einen Plattenspieler. Ich nahm also meine Platte mit und spielte sie vor. Als die wilden Töne erklangen, hat man die Platte gestoppt und mich fast rausgeworfen.“ Auf der Platte von Coleman war auch der Trompeter Don Cherry, der fünf Jahre später im von Fränzel gegründeten ‚Club Impuls‘ ein Gastspiel gab. „Peter Brötzmann und Peter Kowald hörten zu und waren total inspiriert und tauschten mit den Musikern Kontakte aus.“

Ein weiteres für Dieter Fränzel wichtiges und für Wuppertal legendäres Jazzkonzert war der Auftritt des Charles Mingus Quintet am 26. April 1964 in der Wuppertaler Stadthalle, das von der von Fränzel gegründeten Zeitkunst-Gesellschaft organisiert wurde.

Ein besonders Erlebnis war auch die erste Reise nach Paris. „Wir trieben uns nächtelang in den Jazzkellern von Saint-Germain-des-Prés herum, wo in den 1960er Jahren auch amerikanische Musiker wie Don Cherry, Bud Powell und Kenny Clarke spielten. Wir haben die Klänge aufgesogen und morgens auf der Bank unseren Rausch ausgeschlafen. Für mich war das Existentialismus pur, ein neues Lebensgefühl. Ich habe dann Sartre gelesen und die Autoren der Beat-Generation, wie Jack Kerouac.“

Letzten Endes hat der Jazz sein Leben geprägt und bis heute bestimmt: „Hat mir die Ohren geöffnet und den Verstand. Kurz gesagt meine berufliche Entwicklung vom Fabrikarbeiter zum Kulturarbeiter befördert“, fasst Fränzel den großen Einfluss der Kunst zusammen.