Meine erste Platte Coolio hat begeistert, Brahms traf ins Herz

Die Musikerin Anna Luca Mohrhenn besitzt viele Tonträger, natürlich auch eigene Alben. Sie wuchs mit Klassik auf, entdeckte später Hip-Hop und Jazz für sich.

Anna Luca Mohrhenn mit der Schallplatte, die in ihrem Musikerleben große Bedeutung hat.

Foto: WZ/Sabine Klöckner

Zuhause, das war ein klassischer Kosmos. Das erste Bild, das Anna Luca Mohrhenn erinnert, ist das der Mutter, die Cello übt, während sie, als Kleinkind auf dem Schafsfell liegend, zu ihr emporblickt. Brahms’ Klavierkonzert 1+2, interpretiert von Claudio Arrau, ist das erste Album, das die Zwölfjährige 1995 erwarb. Weil in den 90er Jahren die Schüler gerne Mixed Tapes aufnahmen und tauschten, gibt es ein zweites erstes Album: „Gangsta’s Paradise“ von Coolio. Ein Kontrast-Erlebnis, denn „ich verstand die Musik nicht, aber ich war total begeistert“. Die Hip-Hop-Einstiegsdroge wurde 1998 durch „Moment of Truth“ von Gang Starr abgelöst, die bis heute einer ihrer liebsten Platten ist. Neben der Brahms-Einspielung von Arrau, die sie durchs Leben begleite. Zwei Tonträger von heute ganz vielen im Besitz der Musikerin.

Anna Luca wurde 1983 in Deutschland geboren, wuchs in Schweden auf. Ihre Eltern sind Musiker, sie selbst begann mit vier Jahren Klavier zu spielen. Klassik natürlich. Als Jugendliche entdeckte sie ihre Stimme und das Songschreiben, kam 1997 bei einem Konzert des Esbjörn Svensson Trios im Stockholmer Jazzclub „Fasching“ erstmals mit dem Jazz in Berührung. Und begann diese „wunderbare, stets neu denkende Musik“ zu lieben. Mit 17 spielte sie in einer Hip-Hop-Band und wollte klassische Pianistin werden. Sie studierte Klavier, später in Arnheim Jazzgesang. Sie lernte dort ihren Mann, den Wuppertaler Musiker Christian Mohrhenn und mit ihm das Nu-Jazz-Projekt Club des Belugas kennen, das 2002 in Wuppertal seinen Ausgang genommen hatte. Gemeinsame Alben und Tourneen folgten. Anna Luca avancierte zum Nachwuchsstar der internationalen Jazzszene.

Musik sei alles für sie, sei Heimat, Leben, Freundschaften, Familie. „Es gibt keinen Bereich ohne Musik“, sagt die Musikerin, die 2012 ihr erstes Soloalbum „Listen and Wait“ veröffentlichte. Die Musik komponiert. Für sich selbst und ihre Band, „weil das einfach notwendig ist“, sie zwinge, konkret und gewissenhaft zu arbeiten, „sich selbst zu erforschen ohne sich dabei zu wichtig zunehmen“. Dabei vielfältig ist, experimentiert. Für andere, weil es wichtig und bereichernd sei auszubrechen. Auch gerne weit weg vom eigenen Stil, wie bei der Vertonung einer Serie für den Bayerischen Rundfunk, die gerade noch vor der Kontaktsperre durch die Coronavirus-Krise fertig geworden ist.

Ihr eigener Musikstil beinhaltet Pop, Modern Jazz, Klassik, Folklore, die ineinander fließen. Inspiration geben ihr musikalische Vorbilder mit „ihrer Energie und Wandlungsfähigkeit“: Nick Drake, Tom Waits und vor allem Neil Hannon von der Band „The Divine Comedy“: „Sie sind alle wunderbare Geschichtenerzähler und sie machen sich nichts aus Genregrenzen.“ Außerdem Esbjörn Svensson, „als jemand, der den Jazz immer weiter gedacht hat“, und Allan Edwall, der nicht nur Schauspieler, sondern auch großartiger politischer Liedermacher war.

Und natürlich die Helden der Klassik. Beethoven, von dessen Leben der Vater erzählte, während sie in seinem Arbeitszimmer gemeinsam seiner Musik lauschten. Oder Mozart, dessen Oper „Die Zauberflöte“, Musik und Geschichte, sie als Kind hunderte Male auf der Musikkassette hörte. Brahms, wegen der großen Gefühle in seiner Musik, wild und düster, wunderschön und voller Frieden. Anfang der Nuller Jahre erlebte sie ihre Ikone Radu Lupu in der Hamburger Laeiszhalle, als er Brahms’ Klavierkonzert spielte. „Ich saß im Balkon direkt über ihm, konnte seine Hände sehen, ich habe mich wegtragen lassen.“ Das andere von zwei unvergesslichen Konzerten, neben dem des Esbjörn Svensson Trios.

In ihrem aktuellen Projekt „Small friendly Giant“ unternimmt Anna Luca eine musikalische Reise durch die eigene Biografie. Sie verarbeitet darin ihre verschiedenen Wurzeln in Deutschland und Schweden, die Erinnerungen an ihre Kindheit, an den Großvater, der gestorben ist. Gerade ist das Album fertig geworden, im Oktober soll es erscheinen, sie will es auf Konzerten, auch in Wuppertal, vorstellen. Im Moment sind alle Konzerte bis in den Sommer abgesagt, die Kulturschaffenden seien als erste von der Krise getroffen worden und fänden wohl als letzte wieder heraus. Die Branche sei in Panik, keiner wisse, ob die Hilfsprogramme der richtige Weg seien. „Man merkt, wie wenig Schutz wir haben, wie sehr wir von der Hand in den Mund leben.“ Die Kehrseite eines Berufs, der bewusst nicht täglich im Büro ausgeübt wird. Auch jetzt meide sie Stillstand, komponiere jeden Tag, nutze die Zwangspause zu Hause in Ronsdorf, um sich um die beiden Söhne (sieben und zehn Jahre) zu kümmern, im Garten zu arbeiten. Und um Brahms Klavierkonzerte zu hören, die sie „wie kaum etwas Anderes direkt ins Herz“ treffen.