Rolle „Ich tanze gerne aus der Reihe“

Wuppertal · Sebastian Campione besticht als Dulcamara in der Inszenierung von „Der Liebestrank“ der Oper Wuppertal.

Sebastian Campione als Dulcamara begeistert im Zusammenspiel mit Sangmin Jeon, der in der Inszenierung von „Der Liebestrank“ Nemorino verkörpert.

Foto: Björn Hickmann/stage picture

Ausgesucht hat er sich die Rolle nicht, aber geprägt hat er sie schon. Und dass sie ihm viel Spaß macht, davon konnten sich die Besucher der „Liebestrank“-Opern-Aufführung bereits zweimal selbst überzeugen. Da läuft Sebastian Campione als Wunderheiler Dulcamara zur Höchstform auf, überzeugt gesanglich, vor allem aber durch seine Performance, die eine „Mischung aus Verführer und Strippenzieher“ ist und in der er „den anderen auch etwas den Spiegel vorhält“. Am 29. März sollte die Gaetano Donizetti-Oper wieder auf dem Spielplan stehen. Doch die Coronavirus-Krise kam dazwischen.

Sebastian Campione ist ein Münchener Kind mit italienischen Wurzeln. Der heute 35-Jährige fand als Kind zur Musik, eine Grundschullehrerin schickte den Achtjährigen zum Kindersingen an die Oper. Was aber nicht dazu führte, dass er der Klassik verfiel. Campione liebt den Hip Hop „mit dem ich aufgewachsen bin, so wie man seine erste Liebe ein Leben lang nicht vergisst“, erzählt der Sänger mit der Stimmlage Bass. Nach Ausbildung und Studium gehörte er erstmal dem Ensemble des Staatstheaters am Gärtnerplatz in München und später dem des Deutschen Nationaltheaters Weimar an, bevor er nach Wuppertal kam. Zur Spielzeit 2016/17 nahm er an der Oper in Barmen seine Arbeit auf. Seine musikalischen Lieblinge sind heute Guiseppe Verdi und seine Opern, vornehmlich „Nabucco“, aber auch „Don Carlos“, dessen Partie des Philippe II. ihn besonders reizt. Und in Wuppertal gab er in Verdis „Luisa Miller“ in der letzten Spielzeit den Graf von Walter.

Donizettis „Der Liebestrank“ lernte der Opernsänger erst jetzt näher kennen. „Ich wusste natürlich, dass es die Oper mit ihren bekannten Arien gibt.“ Außerdem wusste er, dass Donizetti ein Konkurrent von Gioachino Rossini war, den er wiederum sehr mag. Sein Magnifico in „La Cenerentola“ habe Ähnlichkeiten mit Donizettis Dulcamara: „Beide sind clever, kommen aber schon mal in dumme Situationen.“ Bei dem Versuch, damit klarzukommen, entstehe dann eine gewisse Situationskomik.

Der Stoff wurde in eine peppige bis anarchische Show verwandelt

Donizettis Opera buffa (komische Oper) kreist um den unglücklich verliebten jungen Bauern Nemorino, der durch einen vermeintlichen Liebestrank des Wunderheilers Dulcamara die Zuneigung der angebeteten, launischen Pächterin Adina gewinnen und so den Nebenbuhler und Garnisonssergeant Belcore ausstechen will. Er übersteht eine Fast-Heirat Adinas, seinen Beitritt zum Militär, gewinnt das Herz der Angebeteten und das Erbe seines Onkels. Das wirkliche Happy End aber widerfährt Dulcamara, der aus Nemorinos Erfolg das Geschäft seines Lebens macht.

Regisseur Stephan Prattes verwandelt den Stoff in eine peppige bis anarchische Show. „Seine Inszenierung übersetzt eine alte Geschichte ins Heute – mit anderer Ästhetik und Verpackung, aber alten Werten“, erklärt Campione sachlich. Sie sei zeitlos bis auf zwei Referenzen ans Jetzt, indem einmal das Verführungsobjekt Smartphone und ein andermal eine Yoga-Lehrstunde eingebaut wurden. Campiones Rolle legt Prattes extravagant, schrill, bauernschlau und witzig an. Ihre Figurine besteht aus einer lilafarbenen Anzugshose und -weste, rotem Gehrock und roten hochhackigen Stiefeln sowie grüner punkartig aufgetürmter Perücke über grell geschminktem Gesicht. Campione erinnerte sie sofort an die Comic-Figur des Joker aus den 90er Jahren. „Ich nahm ihn als Grundlage, legte Dulcamara witzig, quirlig an.“ Das Kostüm steche heraus, „das passt auch zu mir persönlich, da ich ein Typ bin, der gerne aus der Reihe tanzt“, sagt der Sänger verschmitzt. So ein Gehrock dürfe nicht nur angezogen, er müsse getragen und ausgefüllt werden. Der Gang auf den hohen Stiefeletten sei nicht einfach, aber für ihn nichts Neues – „das habe ich im Studium gelernt“ – , und passe sehr gut zur exzentrischen Figur des Dulcamara. Die der Regisseur zwar grob vorgibt, die aber „von mir stark beeinflusst und entwickelt wurde“. Heraus kam eine Kombination aus schriller Comicfigur und mephistotelischem Charakter – für Campione eine anstrengende Aufgabe mit hohem Spaßfaktor. Ihr Erfolg beim Publikum bestätigte, dass er mit seiner Interpretation ins Schwarze getroffen hatte.

Und nun? Nach einem Abstecher zu Pina Bauschs „Die sieben Todsünden“ standen Rollen in „My Fair Lady“ und „Jesus Christ Superstar“ und weitere „Liebestrank“-Einsätze an. Im Mai sollte mit der Community-Oper „Ein Sommernachtraum“ eine ganz andere Herausforderung auf Sebastian Campione warten. Doch das Coronavirus entschied anders.