Heiter-zynisch: Bernhards „Auslöschung“ in Wien
Wien (dpa) - Österreicher sind einfältige Heuchler und Kulturbanausen. Deutsch ist die furchtbarste Sprache der Welt und die österreichische Küche eine Zumutung. Mit Beschimpfungen und Anklagen sparte Thomas Bernhard auch in seinem größten Prosawerk „Auslöschung“ nicht.
Das Stück feierte in einer Bühnenversion des deutschen Regisseurs Oliver Reese am Donnerstag seine Uraufführung im Wiener Theater in der Josefstadt. Aussagen wie „Österreich ist wie eine Todesstrafe für seine Einwohner“ schockierten das Publikum nicht. Sie quittierten die Vorstellung mit viel Applaus. Bei aller Bitterkeit und allem Zynismus Bernhards gestaltete sich der Abend durchaus heiter.
Der Einstieg in die menschlichen Abgründe des Protagonisten Franz-Josef Murau erfolgt unverblümt. In einem Telegramm erfährt der Österreicher vom Unfalltod der verhassten Eltern und des Bruders. Dadurch wird er aufgefordert, aus seinem freiwillig gewählten Exil Rom zurückzukehren in die von ihm verfluchte Heimat. Schon vor vielen Jahren flüchtete er aus Wolfsegg, um seiner Familie und der braunen Vergangenheit der Stadt zu entkommen. „Alles ist entweder katholisch oder nationalsozialistisch“, schimpft Murau. Überall seien nur „leidenschaftliche Vernichter“ am Werk.
Die Verbitterung stellt sich schon in frühester Kindheit ein. Geboren wird er als „das überflüssigste Kind, das man sich vorstellen kann“. So sehnt er sich nach dem Alleinsein, verflucht es aber gleichzeitig. „Erst habe ich mich vor dem Leben gefürchtet, dann habe ich es gehasst“, so Murau.
Dargestellt wird der innere Monolog Muraus von vier Schauspielern. Wolfgang Michael, Christian Nickel, Udo Samel und Martin Zauner spielten perfekt aufeinander abgestimmt in schlichten Anzügen. Erinnert sich Murau an Szenen aus der Vergangenheit, schlüpfen seine Alter Egos auch einmal in die Dirndlkleider der stumpfsinnigen Schwestern. Mit der Besetzung ist es dem Regisseur Reese eindrucksvoll gelungen, die Komplexität von Bernhards Texten einzufangen.
„Thomas Bernhard war kein großer Erfinder, sondern ein Mann mit großer Sprache“, sagte Reese, Intendant am Schauspiel Frankfurt, im Vorfeld. So legte er auch das Bühnenbild bewusst schlicht an. Den größten Teil der Vorstellung stehen die Schauspieler einfach vor einem roten Vorhang. Im zweiten Teil, der Ankunft in Wolfsegg, verengt sich die Perspektive: Zwei aufeinander zulaufende meterhohe Holzstapel sorgen für beklemmende Stimmung. Das Bühnenbild dürfte als Anspielung an Bernhards Klassiker „Holzfällen“ verstanden werden.
Mit seinem größten Erfolg „Heldenplatz“ verursachte Bernhard 1988 am Wiener Burgtheater noch den größten Theaterskandal der Republik. Die Geschichte der Nazi-Vergangenheit des Landes spaltete die Nation. Thomas Bernhard starb kurz darauf 58-jährig und galt als Nestbeschmutzer. Erst viele Jahre später begann die Verehrung.
Mit „Auslöschung“ soll er nicht nur Teile seiner eigenen Kindheit und Jugend, sondern auch seine Anfeindungen verarbeitet haben. „Ich ziehe Österreich andauernd in den Schmutz, sagen die Leute, die Heimat mache ich auf die unverschämteste Weise herunter“, legt Bernhard seinem Protagonisten in den Mund. Auf der Bühne sind diese Anspielungen auf Bernhard selbst nicht mehr zu finden.
Regisseur Reese konzentrierte sich ganz auf die dysfunktionale Familiengeschichte. So legt er die Scheinheiligkeit der vermeintlich idyllischen Landgemeinde und der Österreicher im Generellen offen. Seine späte Rache an Familie, Kirche und nationalsozialistischer Nachbarschaft ist die Schenkung des gesamten Erbes an die Israelitische Kultusgemeinde in Wien.
Thomas Bernhard hätte das Buch gerne posthum veröffentlicht, heißt es. Doch der Autor war wohl zu neugierig auf die Reaktionen. Im Gegensatz zu seinem Protagonisten Murau, der sein Leben ausgelöscht sehen wollte, schuf sich Bernhard auf 651 Seiten sein Opus Magnum.