"Terror" im Düsseldorfer Schauspielhaus Leben gegen Leben — der Zuschauer richtet

Müsste ein Pilot, der ein gekapertes Flugzeug abschießt, bestraft werden? Seit Wochen sorgt ein Theaterstück bundesweit für Aufsehen. Die Zuschauer stimmen ab — die Mehrheit entscheidet sich gegen das geltende Recht.

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Düsseldorf. Angeklagt ist ein Bundeswehrpilot. Er hat eine mit 164 Menschen besetzte Passagiermaschine abgeschossen. Das von Terroristen entführte Flugzeug hatte Kurs genommen auf ein Fußballstadion mit 70 000 Zuschauern. Nun steht der Pilot vor Gericht. Vor einem besonderen Gericht. Eines, das seit Wochen in bislang acht Städten tagt — weitere werden hinzukommen.

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In dem Stück „Terror“ von Ferdinand von Schirach geben Schauspieler den Staatsanwalt, Verteidiger, Richter und Angeklagten. Das Publikum sieht nicht nur zu, sondern spielt selbst die Schöffen. Nach Ende der Gerichtsverhandlung, dem ausführlichen Wägen von Pro und Kontra auf der Bühne, wird abgestimmt: Schuldspruch oder Freispruch für den Piloten?

Ginge es nach der Gesetzeslage, erschiene der Fall klar: schuldig. Denn das Bundesverfassungsgericht hat 2006 den Paragrafen des Luftsicherheitsgesetzes, der einen solchen Abschuss erlauben sollte, für verfassungswidrig erklärt. Und zwar einstimmig und ohne ein Sondervotum eines Richters, das bei Karlsruher Urteilen durchaus möglich ist.

Doch die Bürger entscheiden in der Mehrzahl anders als die höchsten Richter. Auf der Internetseite des Kiepenheuer Bühnenvertriebs lassen sich die aktuellen Abstimmungsergebnisse der Bühnen, in denen das Stück gezeigt wird, anklicken. Beispiel Schauspielhaus Düsseldorf: Bisher 17 Vorstellungen, 17 mal Freispruch. Beispiel Aachen: zwölf Vorstellungen, zwölf mal Freispruch. So kann man sich durch die ganze Republik klicken. Fast immer stellen sich die Menschen auf die Seite des Piloten. Nur in Berlin kam es in vier von 13 Vorstellungen zum Schuldspruch für den Piloten, in Braunschweig gab es einen Freispruch.

Oft gehen die Abstimmungen freilich sehr knapp aus. Theaterbesucher, die gemeinsam gekommen sind, sind sich in ihrer Beurteilung des hochbrisanten Falles alles andere als einig, geraten in Diskussionen, in Streit. Vor der Abstimmung müssen sie ihre Plätze verlassen, um nach einer Pause über geteilte Eingänge — „Schuldig“ und „Nicht schuldig“ — wieder zu ihrem Sitz zu gelangen. So ähnlich wie beim sogenannten Hammelsprung, einem Abstimmungsverfahren, das auch schon mal im Bundestag angewandt wird.

Da wird der Riss, der bei dieser Frage selbst durch Familien oder Paare geht, für jeden offenkundig. Mitmach-Theater im besten Sinne. Und ein bisschen in der Tradition der einstigen Fernsehsendung „Wie würden Sie entscheiden?“ Insgesamt, so die aktuelle bundesweite Statistik, haben sich bislang 58,5 Prozent der Theaterbesucher für einen Freispruch entschieden.

Eine Mehrheit stellt sich damit gegen das Votum des höchsten deutschen Gerichts. Allerdings, auch das muss gesagt werden, haben die Karlsruher Richter im Jahr 2006 nur die gesetzliche Grundlage für einen solchen Abschuss kassiert. Sie mussten nicht über die individuelle Schuld eines Piloten entscheiden. Und auch das sagten sie damals in ihrem Urteil: „Hier ist nicht zu entscheiden, wie ein gleichwohl vorgenommener Abschuss strafrechtlich zu beurteilen wäre.“ Will sagen: Auch ein Profi-Richter könnte im Ernstfall zu einem ganz ähnlichen Urteil kommen wie die Zuschauer-Schöffen im Theater. Eine Berufung auf „übergesetzlichen Notstands“ wäre dafür ein denkbarer Weg.