Hesses „Glasperlenspiel“ in Karlsruhe

Karlsruhe (dpa) - Es sind Bilder, die die Nachrichten beherrschen. Ein Dschihadist schwenkt die schwarze Flagge des Islamischen Staates (IS), ein vermummter prorussischer Separatist spricht in eine Fernsehkamera.

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Treffen diese Bilder auf einer Theaterbühne auf Hermann Hesse, zeigt das: Die Gedanken, die der Schriftsteller in seinem Werk manifestiert hat, sind zeitgemäß. Bei der Premiere des „Glasperlenspiels“ am Sonntag im Badischen Staatstheater in Karlsruhe drängte sich die Aktualität des Romans aber nicht nur dank emotional aufgeladener Bilder auf. Die erstmals auf eine große Theaterbühne gebrachte Handlung vermittelt dem Publikum ganz unmittelbar, dass man sich der Wirklichkeit nicht verschließen darf.

Die Zuschauer nehmen beim „Glasperlenspiel“ mitten im Bühnenbild Platz - denn für die Inszenierung von Hesses letztem und umfassendstem Werk ließen Regisseur Martin Nimz und Dramaturg Konstantin Küspert sogar das Theater umbauen. In den Theatersaal wurde ein zweiter, trichterförmiger Raum konstruiert, in dem Schauspieler und Publikum eingeschlossen und von einer 360-Grad-Videoprojektion umgeben sind. So werden die Zuschauer Zeugen einer abgeschlossenen, nach innen gerichteten und zum Untergang verdammten Welt, die Hesse entwarf.

Drei Stunden lang tauchen die Zuschauer ein in die Bildungsprovinz Kastalien, eine Männerdomäne, in der sich die Gelehrten besitz- und ehelos der Geistigkeit widmen und die besten Bildungsvoraussetzungen genießen. Zwischen Expertentum und Homoerotik leben sie als geistige Elite, die außer Stande ist, selbst etwas hervorzubringen, außer ihrer höchsten Disziplin: das Glasperlenspiel. Das erlernt, im Laufe seines Lebensweges, der junge Kastalier Josef Knecht.

Knecht ist begeistert vom Lernen und Studieren. Irritieren kann ihn nur ein Schüler aus der „anderen Welt“, der ihm vorwirft: „Ihr Kastalier führt das Leben von künstlich gezüchteten Singvögeln.“ Plinio und Knecht fechten immer wieder verbale Kämpfe aus, bringen einander gleichzeitig aber bis ins Erwachsenenalter tiefe Zuneigung entgegen. Getrennt werden sie von den beiden Welten, in denen sie leben und die sich unvereinbar gegenüber stehen: die Hochzucht des Geistes und das natürliche Leben.

Doch erst im weiteren Verlauf seiner Karriere bringen Zweifel Knecht dazu, die Luxusexistenz zu verlassen. Er entkommt der Selbstbezogenheit des Systems und erkennt, dass die abgeschottete Bildungsprovinz aufgrund von Krisen in der Außenwelt scheitern wird.

Wenn die Welt zusammenzubrechen droht, ist kein Platz mehr für Luxus - diese Konsequenz bringt auch Dramaturg Küspert zur Selbstreflexion. „Wenn die Zeiten härter werden, wird das Theater das erste sein, das man streicht“, sagt er nachdenklich. Der Gedanke treibt auch das Ensemble um: In einer Zeit, in der wieder deutsche Rüstungsexporte auf der Agenda stehen, stelle man sich die Frage nach der Wertigkeit und dem Stellenwert von Bildung und Kultur, gibt Schauspieler Ralf Wegner an, der in der Inszenierung einen Kommilitonen Knechts spielt.

Hesse schrieb das „Glasperlenspiel“ als Geschichte der Zukunft - und eigentlich sei das Werk viel zu komplex und umfangreich für ein Theaterstück, hatte Intendant Peter Spuhler noch zu Beginn der Spielzeit gesagt. Auf der Bühne wird der 1943 vollendete Roman zur aktuellen, teils langatmigen Wirklichkeit. Und der Wirklichkeit könne man sicht nicht verschließen, resümiert Küspert, auch mit Blick auf die Krisen, die die Welt derzeit in Atem halten. Dass Kastalien scheitert, zeigt nach Überzeugung Küsperts, dass man zwischen Frieden und Wissensbewahrung, Kriegen und Zerstörung das Gleichgewicht bewahren muss.