Düsseldorfer Schauspielhaus Im Namen des Theaterpublikums
In seinem ersten Stück „Terror“ spielt Autor Ferdinand von Schirach im Schauspiel Gericht und lässt die Zuschauer urteilen. Mit der Düsseldorfer Premiere gelingt ein aufregendes Experiment.
Düsseldorf. Unschuldig lautet das Urteil in Düsseldorf, ebenso in Berlin, Frankfurt, Göttingen und Baden-Baden. Klar ist die Entscheidung indes nicht: 326 Zuschauer stimmten am vergangenen Sonntag im Schauspielhaus am Gründgens-Platz für nicht schuldig, bei 256 hieß der Richterspruch schuldig. Ferdinand von Schirach hat sich ein auf- und anregendes Experiment ausgedacht, das in den kommenden Wochen an 16 Theatern in Deutschland aufgeführt wird. In „Terror“, dem ersten Bühnen-Stück des Strafverteidigers und Bestseller-Autors, versetzt er das Theaterpublikum in den Gerichtssaal, führt ihm einen Fall vor, bei dem es um nichts weniger als die Menschenwürde und das Grundgesetz geht — und lässt die Zuschauer entscheiden.
Der Fall ist plakativ und durchaus populistisch: Angeklagt ist der Pilot eines Kampfjets der Bundeswehr wegen Mordes in 164 Fällen. Eigenmächtig hatte er entschieden, ein von Terroristen entführtes Flugzeug abzuschießen, um damit 70 000 Menschen in einem Fußballstadion zu retten, auf das die Entführer die Maschine zusteuerten. Einen Befehl dazu hatte er nicht. Die Frage nun: Ist es möglich, das Leben von einigen gegen das Leben von vielen abzuwägen? Der Staat hat dazu eine Meinung, das Bundesverfassungsgericht hat 2006 ein Urteil zum Luftsicherheitsgesetz gefällt und sich dagegen entschieden.
Nun ist das Theatervolk dran. „Wir spielen die Tat durch Sprache nach, das ist unsere Art, sie zu erfassen. Sie hat sich seit langem bewährt“, erklärt der Vorsitzende (überzeugend: Wolfgang Reinbacher) den Gerichtslaien im Saal. Das Bühnenbild ist spartanisch, hoch oben sitzt der Richter in seiner schwarzen Robe, ihm zur einen Seite die Staatsanwältin (Nicole Heesters) und eine Nebenklägerin (Viola Pobitschka), deren Mann in dem abgeschossenen Flugzeug saß. Auf der anderen Seite der Angeklagte (Moritz von Treuenfels) und sein Verteidiger (Andreas Grothgar). Sie alle sind dem Publikum zugewandt. Es gilt, mit Rede und Gegenrede zu überzeugen.
Bei Befragungen sieht man auf einer Leinwand die Gesichter von Zeugen und Angeklagtem im Großformat, erkennt ihr Bemühen zu ergründen, was wahr und was richtig ist. Regisseur Kurt Josef Schildknecht gibt dem Wort den Vorrang, stellt sich in den Dienst des Textes. Sein Konzept geht auf. Gut besetzt und stark gespielt sind die Figuren, allen voran Nicole Heesters, die ihre Verteidigerin des Grundgesetzes charismatisch und integer anlegt. „Dieser Mann ist kein Krimineller“, stellt sie klar. Und doch lässt sie nicht locker, baut sich vor ihm auf, bringt ihn in Erklärungsnöte. Die 78-jährige Schauspielerin steht glaubwürdig für Lebenserfahrung. Ihre Staatsanwältin weist den Weg aus dem scheinbaren Dilemma: „Warum hat niemand den Befehl gegeben, das Stadion zu räumen? Es wäre Zeit genug gewesen.“
Ihr Plädoyer für das Grundgesetz vertritt sie aufrecht, ohne dogmatisch zu wirken. Ihrem Gegenpart verleiht Grothgar geschickt ein paar windige Züge, wenn er sich in seiner Robe aufplustert und mit rhetorischen Winkelzügen ans Publikum schmeißt. „Entscheiden Sie nicht nach Sympathie“, mahnt der Vorsitzende, bevor er die Zuschauer in die Pause entlässt. Es geht um die Sache, und die nimmt das Theatervolk ernst. Beim Reinkommen wählen sie den Aufgang mit der Überschrift schuldig oder nicht schuldig. Ihr Urteil ergeht. Stehender Applaus für den anwesenden Autor, Schauspieler und Regie — und großer Diskussionsbedarf bei den Richtern dieses Abends.