Schauspielhaus Köln Intendant mit offener Rechnung
Kölns Schauspielchef Stefan Bachmann ist sauer. Er muss weiter im Provisorium inszenieren. Große Kunst bietet er trotzdem.
Köln. Stefan Bachmann ist sauer und enttäuscht. „Köln ist visionslos“, urteilt er über die Stadt, in der er vor zwei Jahren mit großen Plänen als neuer Schauspielintendant angetreten ist. Vor vier Wochen wollte er „sein“ saniertes Haus in der Innenstadt nach zwei beeindruckend gut improvisierten Spielzeiten in einer ehemaligen Industriehalle glanzvoll eröffnen. Daraus wurde nichts, weil die Baustelle und deren Management eine bekanntermaßen unrühmliche Angelegenheit in der Domstadt sind: Statt 253 soll die Sanierung von Schauspiel und Oper nun 460 Millionen Euro kosten, statt der Eröffnung 2015 spricht man inzwischen vorsichtig von 2017.
Dass Bachmann sauer ist, hält ihn aber nicht davon ab, im Mülheimer Depot Theaterkunst der Spitzenklasse zu zeigen. Mit den beiden Hausregisseuren Moritz Sostmann und Rafael Sanchez startet er in eine Saison, die ziemlich kurzfristig auf das Format der Ausweichspielstätte gebracht werden musste. In diesem Eröffnungsreigen steht die Inszenierung Bachmanns deutlich an erster Stelle. Mit „Geschichten aus dem Wiener Wald“ von Ödön von Horváth hatte er nach eigenem Bekunden noch eine Rechnung offen. Schon im Burgtheater wollte er dieses bitterböse „Volksstück gegen das Volksstück“ (Erich Kästner) auf die Bühne bringen. Dazu kam es nicht, weil den Wienern es wohl ein bisschen zu sehr ans Eingemachte ging.
Diese Wut scheint Bachmann in Köln beflügelt zu haben. Er belässt das Stück, das Horváth 1931 schrieb, in Wien. Doch wenn diese verlogenen und verrohten Bürger feiernd über die sich drehende Bühne torkeln und ihre Stadt besingen, dann ist der Weg bis in Bachmanns neue Heimat nicht weit. Kulisse und Requisiten brauchen seine acht perfekt besetzten und überragend spielenden Darsteller keine. Sie zeigen an sich und mit sich alles, was es an Deformation und Abgrund zu sehen gibt. Jedem dieser Menschen gibt Bachmann etwas tierisches, so flattert der Vater mal wie ein Pfau, der gefallen will, mal wie ein Geier, der sich aufs Aas stürzt. Der Metzger schreit zwischendurch wie ein Schwein, dass es einem durch Mark und Bein fährt.
Dieses Gruselkabinett hat nichts zu bieten, was einen tröstlich stimmen könnte. Wie Filmmusik setzt Bachmann seinen Geisterstunden-Sound ein und hält über mehr als zwei Stunden die Spannung. Er zeigt, dass die von wahrer Liebe träumende Marianne (Lou Zöllkau) unter diesen Figuren nur untergehen kann. Was hier herrscht sind niedere Instinkte, Habgier und Hass, Geilheit und Egoismus. Auch wenn der Lodenmantel der Großmutter (Jörg Ratjen) Gottesfürchtigkeit vermuten lassen könnte, geht sie über Kinderleichen. Marianne, verführt und gefallen, gerät beim Versuch, für sich und ihren Säugling zu sorgen, immer tiefer in den unbarmherzigen Strudel. Dass sie vom Vater vergewaltigt wird, passiert bei Bachmann im Hintergrund, was einem beim Erkennen noch mehr erschauern lässt.
Ebenfalls ein Großstadtreigen, in dem jeder nicht das bekommt, nach dem er sich sehnt, ist das zweite Stück der Saison: „3.31.93“ des schwedischen Dramatikers Lars Norén. Regisseur Sostmann lässt in seiner etwas langatmigen Inszenierung virtuos Puppen und Schauspieler gemeinsam auftreten. Keinen bleibenden Eindruck indes hinterlässt die Komödie „Stirb, bevor du stirbst“, in der Ibrahim Amir die Stereotypen unseres Alltags vorführen will. In der Regie von Rafael Sanchez fehlt jede Fallhöhe, als dass einem die willkürliche Zuordnung von gut und böse, muslimisch oder christlich, Bioladen- oder Discount-Einkäufer ein im Hals stecken bleibendes Lachen verursachen würde.