Interview: "Die Klassik wird überleben"
Die Geigerin Hilary Hahn gehört zur Weltspitze und sagt: "Dank der Musik habe ich in jungen Jahren gelernt, abstrakt zu denken."
Frau Hahn, in Deutschland wird gern die Krise der Klassik beschworen - sehen Sie das auch so?
Hahn: Nein, das habe ich noch nie so gesehen. International betrachtet genießt doch die Klassik von allen musikalischen Genres die größte Aufmerksamkeit. Es gibt heute mehr Konzerthäuser und mehr Orchester als vor 50 Jahren. Die Klassik wird weiter ihren Weg gehen, ganz gleich, welche Krisen noch kommen.
Hahn: Das ist ganz einfach zu beantworten: Langfristig zählt allein die Qualität. Natürlich kann jeder verschiedene Seiten seiner Persönlichkeit offenbaren - und wenn jemand ein nasses T-Shirt tragen möchte und ein anderer sich im Rollkragen wohl fühlt, warum nicht? Ein Problem wird es nur, wenn jemand allein um des Verkaufserfolgs willen ein falsches Bild von sich vermittelt.
Hahn: Auch wenn viele die Kunst ungern als Geschäft betrachten - am meisten beunruhigt die Leute doch bei der Frage nach dem "Überleben" der Klassik die finanzielle Seite. Es ist vor allem die Sorge, keine Tickets mehr verkaufen zu können, keine finanzielle Unterstützung für die Orchester mehr zu bekommen, nicht mehr genügend CDs zu verkaufen. Oder auch die Sorge um sinkende Einschaltquoten für die Klassiksendungen im Radio und Fernsehen. Aber die Klassik an sich wird überleben, so lange Menschen musizieren - und sei es auch nur daheim.
Hahn: Welche Frau würde es nicht mögen, jede Menge Experten in Sachen Make-up, Frisur, Garderobe und Inszenierung um sich herum zu haben?! (lacht) Ja, ich genieße das schon. Andererseits betrachte ich jeden, der an solch einem Foto-Shooting beteiligt ist, als einen Künstler auf seinem Gebiet - und insofern ist das auch ein gemeinsames Werk.
Hahn: Ich habe nie irgendetwas vermisst. Im Gegenteil, mein früher Fokus auf die Musik hat mich anderes viel mehr schätzen lassen, was ich in der Kindheit erlebt habe. Denn in solch jungen Jahren durch die Musik schon ab-strakt und konkret denken zu lernen, das kann sehr bereichernd sein. So habe ich etwa auch Bücher geradezu verschlungen - bei uns zuhause gab es keinen Fernseher - und mich bei jeder Gelegenheit der Kunst gewidmet.
Hahn: Lustige Kindereien lassen sich später im Leben immer noch nachholen, sofern man bereit ist, sich auf seine kindliche Seite einzulassen. Nicht zurückdrehen lässt sich indes die Zeit, um die Fähigkeiten zu erwerben, die ich für das Spiel eines Instruments brauche. Als junge Musikerin habe ich so viel gewonnen, dass ich mit niemand anderem hätte tauschen wollen - während ich umgekehrt als Kind nichts vermisst habe, was ich nicht auch noch als Erwachsene tun könnte.
Hahn: Nur nicht übertreiben: Der Wert meiner Geige liegt keinesfalls bei einer Million Dollar! Aber selbst wenn es so wäre, spielte es keine Rolle. Eine Geige ist eine Geige: Keiner - weder Künstler noch Zuhörer - sollte auf ihren materiellen Wert schauen, denn sie ist ein Instrument des Ausdrucks. Und solange ein Künstler auf dem Instrument das ausdrücken kann, was er möchte, fühlt er sich dem Instrument verbunden - und allein das zählt.