Interview mit dem Regisseur der Bayreuther Festspiele Stefan Herheim: "Augen hören, Ohren sehen"

Am 25. Juli werden die Bayreuther Festspiele eröffnet. Der Regisseur Stefan Herheim besorgte die Neuinszenierung.

Herr Herheim, "Parsifal" ist für das Festspielhaus geschrieben. Was bedeutet es für Sie, an diesem Ort zu inszenieren?

Herheim: Der Mythos Bayreuth ist sicher durch dieses Werk lebendig, nicht nur, weil es erst seit 1914 andernorts aufgeführt werden darf, sondern weil durch die Festspielhaus-Akustik das Werk erst authentisch wiedergegeben werden kann. Der Einfluss dieses Ortes für unsere Inszenierung wird sich in der Thematisierung genau dieses Raumes erweisen; wie sagt Gurnemanz:

"Dem Heiltum baute er das Heiligtum." Dieses Heil, dieses Ganzsein, ist ein Anspruch, dessen Perversionen und Einlösungen im Werk ausgestaltet sind und die wir zum Thema machen werden. Für mich bedeutet die Arbeit die Chance, mit hochmotivierten Künstlern zusammenzuarbeiten.

Die Oper ist eines der Hauptwerke der Festspielgeschichte, an das besondere Erwartungen gerichtet werden. Wie gehen Sie damit um?

Herheim: Die vier Aspekte dieses "Bühnenweihfestspiels" weisen schon auf eine Mehrschichtigkeit, die wir sinnlich ausgestalten wollen. Einmal auf individueller Ebene, denn "Parsifal" erzählt in einem musiktheatralen Reifungsprozess die Geschichte eines reinen Toren, der seine Biografie zu reflektieren lernt.

Diese Reflexion wird im kulturgeschichtlichen Raum zur kollektiven Identitäts- und Heilssuche, zur Geschichte einer Nation, die sich auch politisch immer wieder Erlöserfiguren verschrieben hat. Doch das hört sich alles schrecklich theoretisch an - sobald sich der Vorhang hebt, ist man in einer poetisch-magischen Kindergeschichte des 19. Jahrhunderts, in der viel Unheimliches passiert.

Wo liegen für Sie die Herausforderungen der Inszenierung?

Herheim: "Parsifal" ist kein Werk, bei dem man sich klar mit einer Figur identifiziert. Eigentlich erzählt "Parsifal" die Geschichte von Männlichkeit. Es gibt im Werk nur einen Mann, dem wir in unterschiedlichen Stufen der Macht und Ohnmacht begegnen - Titurel, Gurnemanz, Amfortas, Klingsor und Parsifal sind Figurationen von Männlichkeit, die durch die Grenzüberschreitung von Raum und Zeit ineinanderfallen und sich zum Begriff Erlösung positionieren.

Kundry ist ihre Projektion von Weiblichkeit, die als "Andere" überwunden werden muss. Dabei geht es nicht um Emanzipation, sondern um Erlösung, um gnädige Gewährung des ersehnten Heilszustand durch eine höhere Macht. Diese Überlegungen in eine Ästhetik zu bringen, die der sinnlich aufgeladenen Musik entspricht, war eine immense Herausforderung.

Hatten Sie sich schon mit dem Werk beschäftigt, ehe Sie das Bayreuth-Angebot bekamen?

Herheim: Ich wurde bereits vorher von der Berliner Staatsoper eingeladen, "Parsifal" zu inszenieren, doch lehnte ich aus verschiedenen Gründen ab - auch weil die Geschichte um das Werk zunächst einmal sehr viel Unlust in mir produzierte. Als aber die Festspielleitung anfragte und sich die Möglichkeit bot, an diesem einmalig mythisch aufgeladenen Ort sich genau damit auseinanderzusetzen, habe ich zugesagt.

Eine "Parsifal"-Aufführung kann dreieinhalb, aber auch fast fünf Stunden dauern. Welche Rolle spielt das für den Regisseur, wie beeinflusst es seine Arbeit?

Herheim: Seit der Uraufführung 1882 ist die Aufführungsdauer immer länger geworden - gerade bei sonst so transparent zügigen Dirigenten wie Toscanini überrascht die weihrauchgeschwängert erhabene Breite. Die Aufnahmen von Boulez und Levine belegen eindrucksvoll, zu welch unterschiedlichen Bildern die gleichen Noten zusammengefügt werden können.

Doch das Aufregende am Theater ist ja, dass erst in der Aufführung die Kunst entsteht und nicht auf dem Papier oder der Leinwand verewigt ist.

Wie ist die Zusammenarbeit mit dem Dirigenten Daniele Gatti?

Herheim: Dass es zu einer wirklichen Zusammenarbeit gekommen ist, gehört für mich zu den schönsten Erfahrungen dieses Sommers. Als wir Maestro Gatti mit unserem Konzept vertraut gemacht haben, war er zunächst enorm skeptisch, es fehlte schlicht auf beiden Seiten das Vertrauen.

Doch als die tatsächliche Umsetzung begann, wurde ihm schnell klar, dass ich eine sinnliche Konkretisierung der Partitur wollte, und so haben wir beide in den Proben unsere Vorstellungen kommuniziert und konnten sie gemeinsam angehen mit dem Ziel, dass in der Aufführung die Augen zu hören und die Ohren zu sehen beginnen.

Als Regisseur kommen Sie von der Musik her. Gehen Sie deshalb anders an das Inszenieren heran?

Herheim: Die Oper ist die letzte Bastion der Heiligkeit in unserem Kulturbetrieb - heilig nicht nur im Sinne von "besonders", sondern im ursprünglichen Sinne von "heil", "ganz". Die Partituren gelten immer noch als unantastbar; sie sind eine Art Kunst-Evangelium. Unserem Team liegt an einer Entfaltung und Gestaltung der Partitur.

In langen Konzeptionssitzungen definieren wir für uns die Koordinaten, mit denen wir dann nicht nur die Handlung erzählen, sondern die Mechanismen und vielschichtigen Aspekte des Werkes inklusive seiner Rezeption vermitteln wollen.