Oper: Meisterwerk vom 16-jährigen Mozart

Christof Loy inszeniert in Düsseldorf ein frühes Werk von Wolfgang Amadeus Mozart: das Drama „Lucio Silla“. Jubel und Applaus.

Düsseldorf. Wir sind in mehrfacher Hinsicht auf einer Baustelle. Nicht nur ist der Palast des römischen Tyrannen Lucio Silla mit Baugerüsten umstanden. Vielleicht sind das sogar schon die Barrikaden für den Volksaufstand. Auch das Portal ist zugemauert wie für eine Tote. Zumindest als Gefangene hält der Diktator auch die von ihm begehrte Giunia, Tochter des Marius, den er, Silla, ermorden ließ. Kurzum, das Schalten und Walten dieses grausamen Politikers ist insgesamt eine Baustelle, oder direkter: ein Trümmerhaufen.

Der sehr junge Mozart nahm sich eines sehr ernsten Themas an. Auch überrascht, wie oft da Menschen am Rande der Verzweiflung sich an Gräbern versammeln. Die ebenso ernste, feierliche Inszenierung von Christof Loy (Regie) und Herbert Murauer (weiß ausgeschlagene Bühne, strenge Kostüme und Anzüge), dazu Richard Traubs exzellent- diskretes Lichtdesign sind Partitur regelrecht abgelauscht.

Zentrales "Möbel" ist, umrahmt von fünf Lüstern, eine Hebebühne, auf der auf einem weißen Stühlchen die gefangene Guinia kauert und trauert, hat doch Silla ihr heimtückisch suggeriert, ihr Verlobter Cecilio sei tot. Und die Musik - Andreas Stoehr dirigiert ein Kammerensemble der Düsseldorfer Symphoniker, für die Accompagnati Cembalo und Violoncello - lässt in der ersten Ouvertüre aufhorchen: spritzig und dann wieder mit herrschaftlichem Auftritt, präsent und präzise.

Doch das Ereignis dieser "opera seria", Mozarts zweiter, sind die mehr als zehn halsbrecherischen Koloraturarien. Simone Kermes als Giunia tobt durch die Tonleitern, dass man vergisst zu atmen.

Im zweiten Teil schreibt ihr Mozart eine Koloratur auf den Leib, in der die Schrecken nahenden Wahnsinns schreien. Denn Cecilios Plan ist: Sie soll Silla ehelichen, um ihn in der ersten Nacht zu erdolchen. Plötzlich stehen da drei Menschen mit Dolchen bereit: außer ihr noch Cecilio und Sillas Ratgeber Lucio Cinna. Silla ist erschüttert.

Eines kann man ganz schlicht sagen: es wird durchweg auf Weltklasse-Niveau gesungen. Vielleicht mangelt es der Musik gelegentlich an Obertönigkeit, aber das mag der Premierennervosität geschuldet gewesen sein. Außerdem legt Loy höchsten Wert auf eine sensible Personenführung; da gibt es nur überlegte, bedachte und begründete Bewegungen, Gesten und Konstellationen.

Wenn Giunia und Cecilio sich am Bauholz gegenüber sitzen, ihre Hände sich nicht erreichen können, sieht man Michelangelos Deckengemälde in der Sixtinischen Kapelle. Selbst im Moment, wenn Lucio ihr Gewalt antun will, schafft er es nur, die Gürtelschnalle zu öffnen. Da wird präzise Sillas Klage über seine Feigheit umgesetzt.

Auch wenn er zum unerwarteten Staatsakt antritt, die Ansprache an sein Volk hält und ihm seine überraschende Entscheidung mitteilt, künftig auf alles zu verzichten, vollzieht sich diese Revolution ohne martialische Gewalt oder pompöse Geste. So hat diese Inszenierung den Charakter eines Gesamtkunstwerkes.

Natürlich gab es schon nach jeder Koloraturarie Bravi und begeistertehn, beglückten Applaus, am Ende auch für Stoehr und die Musiker. Warum aber das Düsseldorfer Publikum teilweise dem Regisseur Loy nach wie vor die Anerkennung verweigert, ist sein Geheimnis.