Uraufführung: Bauschs Hommage an die Frau
Das neue Stück der Wuppertaler Choreografin, noch ohne Titel, ist erstaunlich intim und kommt mit nur neun Tänzern aus.
Wuppertal. Mit wiegenden Hüften stöckelt die schöne Tänzerin auf den Herrn in der ersten Reihe zu. Sie hockt sich zu ihm herunter, bittet ihn, den seitlichen Reißverschluss ihres Kleides zu öffnen. Der tut wie geheißen und weiß nun, was Julie Anne Stanzak unter ihrem Cocktailkleid trägt: nichts.
Der Flirt mit dem Publikum spielte bei Pina Bausch schon immer eine Rolle. Soviel Erotik aber war nie.
Erstaunliche Intimität auch auf der Bühne des Wuppertaler Schauspielhauses. Nicht nur, weil "Neues Stück 2008", das noch auf seinen Titel wartet, mit neun Tänzern auskommt - üblich sind bis zu zwei Dutzend.
Ein Kammerballett der alten Hasen. Denn Pina Bauschs jüngstes Werk, das diesmal keine Koproduktion mit einem fernen Land ist, bezieht sich, wie das Programmheft anmerkt, auf "Bamboo Blues", das Indien-Stück von 2007. "Bamboo Blues" arbeitete vor allem mit jungen Tänzern, diesmal sind reifere Kräfte auf der Bühne.
Wer glaubt, deshalb ginge es betulich zu, irrt. Die Soli sind zwar ruhiger, dafür aber voller Sinnlichkeit, auch ist die Musikauswahl - darunter einige Rock-Pop-Balladen - melancholisch grundiert. Und das spanische Urgestein, die Tänzerin Nazareth Panadero, unterhält mit Lebensweisheiten, mitunter etwas flach, denen es ein Hexengelächter hinterherschickt.
Dennoch geht es bei den "Alten" ganz schön zur Sache. Helena Pikon stöhnt auf Michael Streckers Schoß im Rhythmus seiner wippenden Knie und schaut dabei mit einem pinkfarbenen Fernglas ins Publikum. Die Brasilianerin Regina Advento lässt es knistern, wenn sie wie eine Sphinx raunt: "Ich heiße Reschiena, nicht Regina, nicht vergessen... nicht vergessen." Eine Szene mit Tiermasken deutet Sado-Maso-Sex an.
Mehr als andere ist die neue Kreation eine Hommage an die Weiblichkeit. Männer sind, auch buchstäblich, zu Wasserträgern degradiert. Sechs Aphroditen in ständig wechselnden Abendkleidträumen setzen sich mit drei Männern, in uniformen schwarzen Anzügen, auseinander.
Dabei zitiert Pina Bausch frühere Geschlechterkampf-Zeiten, so wenn Julie Anne Stanzak mit ihren Absätzen auf den Händen von Andrey Berezin, Mann mit undurchdringlicher Miene, steht und höhnisch lacht.
Auch traumatische Erlebnisse werden wieder abgearbeitet. Julie Shanahan wird immer wieder Opfer männlicher Gewalt: So, wenn Nazareth Panadero sie wie eine Mutter ruft, die Tänzerin im Lauf aber von zwei Männern immer wieder festgehalten wird. Eine Szene, die mehrfach wiederholt wird.
Auch erzählen die einzelnen Tänzer nach längerer Zeit wieder biografische Begebenheiten, jene komischen oder anrührenden Anekdoten, die das Wuppertaler Tanztheater so einzigartig und menschlich machen.
Die Soli, im ersten Teil noch den Frauen vorbehalten, sind den Künstlerpersönlichkeiten auf den Leib choreografiert. Peter Pabsts Bühne aus weißen Vorhängen inspiriert Pina Bausch zu manchem Bild von Eleganz, Dichte und Anmut, so wenn die Tänzerinnen sich in Vorhänge hineinsetzen und auf den - nicht sichtbaren - Rücken der versteckten Männer räkeln.
Für Julie Shanahan, Marilyn Monroe des Ensembles, ersann die große Choreografin das schönste Solo: Inmitten wehender Stoffbahnen tanzt die Blondine voller Leichtigkeit und Hingabe im Wind.
Das neue Stück bemüht sich, die Ebene der Belanglosigkeit der jüngeren Arbeiten wieder zu verlassen. Schönheit und Humanität finden erneut zueinander. Das Genie früherer Tage aber kann man nur ahnen, denn die Choreografin verharrt weitgehend im Selbstzitat. Was die Wuppertaler Wallfahrer nicht hindert, ihrer Ikone mit Standing Ovations zu huldigen.
140 Minuten, eine Pause, Auff.: 3., 4. 6. bis 8. Juni, Restkarten unter Tel. 0202/569-4444.
Choreografie: nnnnn
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