Saisonstart und Premiere Liebe und Hass in Multikulti-Welt: „Romeo un Julia“

Hamburg (dpa) - Die ganze Welt ist ein Zirkus - mit Lichterketten im Chapiteau, viel Musik und einem Menschen, der im Affenkostüm in der Manege Fahrrad fährt. Hass und Gewalt herrschen unter den verfeindeten Artistenclans Montague und Capulet.

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Wer hier liebt, trägt die knallrote Pappnase eines Clowns und hat es schwer - wenngleich es am unglücklichen Ende doch ein wenig mehr Hoffnung gibt als sonst in William Shakespeares großer Tragödie „Romeo und Julia“.

Das Stück aus dem Jahr 1596 hat in einer Inszenierung von Murat Yeginer am Samstagabend Premiere am Hamburger Ohnsorg Theater gefeiert. Mit Elementen zeitgenössischen Regietheaters und natürlich zumeist „op platt“ - eben „Romeo un Julia“.

Die ungewöhnliche Aufführung war zugleich der Ohnsorg-Start in die Saison 2017/18. Und eine Visitenkarte des neuen Intendanten Michael Lang, der am 1. August sein Amt von seinem langjährigen Vorgänger Christian Seeler übernommen hat. Bereits der erfolgreiche Seeler hat die traditionsreiche Volksbühne, die früher vor allem mit Bauernschwänken Furore machte, dank klassischer und moderner Stücke behutsam an die Gegenwart angepasst. Darunter war auch Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“ 2011 zur Eröffnung der derzeitigen Spielstätte nahe dem Hauptbahnhof. In „Romeo un Julia“ ist jedoch eine Darbietung zu erleben, die bei betonter Unterhaltsamkeit eine am Haus wohl noch nie erlebte politische Dimension erreicht.

Denn Yeginer, der 1959 in Anatolien geboren wurde, als Kind nach Deutschland kam und heute Schauspieldirektor am Stadttheater Pforzheim ist, deutet die Tragödie als eine Art todernste Farce in einer multikulturellen Welt. Die allein durch die Liebe zu retten wäre. Die Konflikte der Artisten haben hier nämlich viel damit zu tun, dass es Menschen unterschiedlicher Nationalitäten, Hautfarben und teilweise Sprachen sind, die im Zirkus zusammenkommen. So erinnert etwa die Messerstecherei, der der „Hitzkopp“ Tybalt (Vasilios Zavrakis) zum Opfer fällt, an die aggressiven Verhaltensformen mancher radikal-machohafter junger Männer mit Migrationshintergrund. Dabei darf denn auch ein Rap nicht fehlen.

Um seine Geschichte, deren gemischt platt- und hochdeutsche Fassung er zusammen mit Cornelia Ehlers und Cornelia Stein geschrieben hat, zu erzählen, setzt der Regisseur auf die Kraft der Vitalität und Poesie des Zirkus (Bühnenbild und Kostüme: Beate Zoff). Das Ensemble, zu dem Ohnsorg-Stars wie Beate Kiupel und Horst Arenthold als Julias Eltern genauso wie viele Neuzugänge gehören, lässt sich davon spürbar gern mitreißen. Dabei nehmen sich die vom Publikum besonders umjubelten schrillen Auftritte und frechen Sprüche der an die norddeutsche Musikkabarettistin Ina Müller erinnernden Amme Julias (Rabea Lübbe) ebenso Regietheater-Freiheiten wie der Diener Peter (Fabian Monasterios) als Bauchredner mit dreister Handpuppe namens Luigi.

Oder fast die ganze Truppe, wenn sie wie eingesperrt in einer Laube hockt und mit entrückten Gesichtern den Sinatra-Hit „Fly Me To The Moon“ singt - ganz so, als wäre wahre Liebe allein im Außerirdischen zu finden. Und die Titelfiguren? Unter all den verzerrt Geschminkten wirken allein Marco Reimers und Yvonne Yung Hee Bormann anrührend natürlich, wahrhaftig und arglos. Als sie einander begegnen, sind sie erst einmal platt - und plumpsen in ihren Kostümen auf den Manegenboden. Romeo schenkt seiner Julia seine Pappnase. „Hier is de Heven, hier, wo Julia is“, wird der Plattsnacker später sagen, dessen hochdeutsch sprechende Geliebte ihm aus Zuneigung auch Elemente seiner Muttersprache lehrt.

Doch die Normen und Bräuche ihrer Umwelt, auch die eigene Unerfahrenheit lassen ein gemeinsames Glück bekanntlich nicht zu. Als Romeo zum Schluss tot ist, bringt sich Julia hier aber nicht um. So bleibt die Option, dass die „Deern“ mit ihrer trotzköpfigen Liebeshaltung die Welt ein wenig zum Besseren kehren könnte.