Premiere: Menschen quälen als Versuch
Sehenswert: Ein Stück über das Gefängnis-ExperimentStanford im Stadttheater Krefeld.
Krefeld. Beim amerikanischen Stanford Prison Experiment wurden 1971 24 freiwillige Probanden per Los zu Gefangenen oder Gefängniswärtern gemacht. Zwei Wochen lang sollte ihr Verhalten in einer Gefängnissimulation erforscht werden. N
ach sechs Tagen wurden die Wärter so sadistisch, dass das Experiment abgebrochen werden musste. Helmut Schmidt-Rahner hat den Stoff dramatisiert, sein Stück "experiment. prisoner 819 did a bad thing" ist jetzt in einer bemerkenswerten Inszenierung am Stadttheater Krefeld zu sehen.
Eine Spielfläche und eine Rückwand aus lauter Tischen: Ausstatter Thomas Rump hat eine Bühne entworfen, die massiv und fragil zugleich wirkt, ein passender Raum für Situationen, die außer Kontrolle geraten können.
Ganz locker treten sieben Schauspieler in normaler Garderobe auf. Ralf Beckord, Frederik Leberle, Adrian Linke, Jörg Malchow, Sven Seeburg, Ronny Tomiska und Christopher Wintgens spielen im ersten Akt die Gefangenen. Ihre Identität verschwindet in Gefängniskleidung und hinter Nummern.
Rasch entwickelt sich eine Dynamik, die vermeintlich Starke und weniger Belastbare schnell kenntlich macht. Nach einer gescheiterten Revolte erhöht sich der Anpassungsdruck für alle.
Als Gefangener 819 (Wintgens) die Nahrung verweigert, befürwortet die Gruppe, dass er in Isolationshaft kommt. Stärke des Stücks: Von der Gewalt der Wärter wird nur erzählt, auch wenn ihre Effekte sichtbar werden. So bleibt vieles der Phantasie überlassen.
Im zweiten Akt spielen die selben Schauspieler die Wärter, und eine Zeit lang zweifelt man daran, dass man jetzt noch Neues erfährt. Man kennt die Ereignisse schon. Ein Erkenntnisgewinn stellt sich dann doch ein.
Die gruppendynamischen Prozesse in der Wärtergruppe spiegeln die der Gefangenengruppe. Anpassungsprozesse zwingen auch hier jeden zu funktionieren. Die Fähigkeit, zwischen Recht und Unrecht zu unterscheiden, geht in der Rolle unter, die noch nicht einmal mehr als Rolle erkannt wird. Keiner entgeht dem System.
Regisseur Christoph Roos ist eine psychologisch zwingende Inszenierung gelungen, die durch präzise Schauspielerführung besticht. Mit grell verzerrter Gitarrenmusik hat Markus Jansen einen adäquaten Soundtrack komponiert.
Verweise auf das amerikanische Militärgefängnis Abu Ghraib (Irak) wirken nicht aufgesetzt, sondern stellen den Bezug zur Realität jenseits des Experiments her. Sehenswert. 150 Minuten mit Pause, Auff.: 23., 24., 27., 30. April. Karten: 02151/805125.