Regierung Orban formt sich die Kultur nach ihrem Ebenbilde

Budapest (dpa) - Vor dem Budapester Neuen Theater (Uj Szinhaz) wird an diesem Mittwoch (1. Februar) demonstriert. Antifaschisten und Regierungsgegner wollen dagegen protestieren, dass an diesem Tag mit György Dörner erstmals ein bekennender Rechtsextremist die Leitung eines ungarischen Theaters übernimmt.

Aber auch rechtsradikale Sympathisanten haben zum Stelldichein vor dem prachtvollen Jugendstil-Haus in der Paulay-Gasse aufgerufen. Die Goi-Motorradfahrer - sie führen das jiddische Wort für Nicht-Juden provokativ im Namen - wollen mit ihren „heißen Öfen“ anrücken.

Dörner ist nicht zu Unrecht ihre jüngste Ikone. Denn in seiner Bewerbung um die Intendanz hatte der Schauspieler geschrieben, er werde das Neue Theater zum „Hinterland“ für den erwachenden ungarischen Nationalgedanken machen. Der „entarteten, krankhaften liberalen Hegemonie“ im Kulturbetrieb wolle er den Kampf ansagen. Auch in Ungarn rückt einen diese Wortwahl in die Nähe des Nationalsozialismus.

Dörner wurde Ende des vergangenen Jahres vom Budapester Oberbürgermeister Istvan Tarlos ernannt. Die Fachkommission der Stadt hatte sich für den seit 13 Jahren amtierenden Intendanten Istvan Marta ausgesprochen. Tarlos verdankt sein Amt dem regierenden konservativen Bund Junger Demokraten (FIDESZ) von Ministerpräsident Viktor Orban. In Budapest zweifelt niemand daran, dass er sich auf ausdrücklichen Wunsch der FIDESZ-Führung über das Urteil der Fachkommission hinwegsetzte, als er Dörner ernannte.

Die ungarische Synchronstimme von Bruce Willis deklamierte früher auf Wahlkampf-Veranstaltungen der rechtsextremen Partei Jobbik (Die Besseren) patriotische Gedichte. Zugleich ist Dörner aber auch ein Zögling des antisemitischen Schriftstellers Istvan Csurka. In seiner Bewerbung um die Intendanz gab er unumwunden zu, dass jeder einzelne Gedanke darin von Csurka stamme. Der bullige Intellektuelle, der hinter jedem ungarischen Ungemach die „jüdische Weltverschwörung“ wittert, unterstützt und preist Orban. Für den Regierungschef ist er ein opportunes Werkzeug im Wettstreit mit der Jobbik um rechtsextreme Wählerstimmen.

„Eine sehr verwegene Entscheidung“, nennt der scheidende Intendant Marta die Bestellung Dörners, nicht zuletzt auch deshalb, weil dieser keine praktische Erfahrung als Theaterleiter hat. Die Erben der ungarischen Schriftsteller Gyula Hernadi und Andras Sütö entzogen dem Theater unter der neuen Führung die Aufführungsrechte für die Stücke der beiden Autoren. Der deutsche Dirigent Christoph von Dohnanyi sagte wegen der skandalösen Ernennung sämtliche Gastauftritte in Ungarn ab.

Am vergangenen Freitag fiel der Vorhang für die letzte Premiere vor der feindlichen Übernahme: eine Dramatisierung von Thomas Manns „Zauberberg“. „Angesichts von Tod und Krankheit setzt sich das Bekenntnis zum Leben durch“, bringt der scheidende Oberspielleiter Janos Szikora die Quintessenz seiner Inszenierung auf den Punkt - ein elegischer Abschied in der Tradition des europäischen Humanismus.

Die Affäre Dörner ist allerdings nur eine von vielen Facetten der Kultur-Revolution in Ungarn. Viktor Orban baut nicht nur den Staat um und die Demokratie ab. Er reklamiert auch eine neue Deutungshoheit über die ungarische Geschichte und Ästhetik für sich und sein Lager. Die klerikal-konservative, völkische Ideologie der Zwischenkriegszeit, der Herrschaft des autoritären Reichsverwesers Miklos Horthy, lässt grüßen.

Im ganzen Land sprießen martialische Denkmäler aus dem Boden, die die ur-ungarischen Eroberer und ihren „Blutbund“ glorifizieren. An Ortseinfahrten stehen Ortsschilder in der alt-magyarischen Keilschrift. Die drittklassige, antisemitische Belletristik der Horthy-Zeit wird in den literarischen Kanon gehoben.

Zu Jahresbeginn eröffnete Orban in der Nationalgalerie auf der Budaer Burg eine Ausstellung von Historien-Gemälden aus dem 19. Jahrhundert. Der Titel ist Programm: „Helden, Könige und Heilige“. Als Ergänzung dazu beauftragte die Regierung 15 zeitgenössische Maler, die letzten 150 Jahre der ungarischen Geschichte auf Ölbilder zu bannen. Die viel belächelten Dokumente dieser Art von bizarrer Staatskunst sind in einem Nebenraum zur Schau gestellt.

Zugleich entziehen massive Etat-Kürzungen der bislang tonangebenden weltoffenen, urbanen Kultur die Lebensgrundlage. So erhielten die insgesamt 83 freien Theater im Vorjahr mit 759 Millionen Forint (2,5 Millionen Euro) gerade mal halb so viel an Subventionen wie im Jahr davor. Viele Absetzungen und Neu-Ernennungen dienen aber auch der von Orban stets mit Akribie betriebenen Bündnis- und Klientelpolitik.

So wurde nach 13 Jahren der Leiter des Budapester „Trafo“, György Szabo, in die Wüste geschickt. Die Einrichtung war bislang ein Genre-übergreifendes Fenster in die Welt. Szabos Nachfolgerin ist die Tanzkünstlerin Yvette Bozsik. Bereits während der Ausschreibung um den Posten hatte der FIDESZ-Kulturstaatssekretär Geza Szöcs sie als seine Wunschkandidatin bezeichnet.