„Schiff der Träume“ eröffnet Theatertreffen
Berlin (dpa) - Am Schluss sind es die Flüchtlinge, die das Ruder übernehmen: Sie wollen dem dekadenten Europa helfen, es aus seiner Depression befreien und dem „Volkskörper“ neue Gene bringen.
Karin Beier stellt in ihrem Stück „Schiff der Träume“ die wohlgemeinte Helferattitüde der deutschen Überflussgesellschaft radikal auf den Kopf. Zum Auftakt des Berliner Theatertreffens lässt die Intendantin des Hamburger Schauspielhauses das Publikum aber auch etwas ratlos zurück.
Ihr Stück nach dem gleichnamigen Filmklassiker von Federico Fellini gehört zu den zehn bemerkenswertesten Inszenierungen der Saison, die das renommierte Festival in seiner 53. Ausgabe vorstellt. Nur: Was kann Theater überhaupt leisten in einem Jahr, in dem Meldungen über Hunderttausende gestrandete Flüchtlinge, über geschlossene Grenzen und europäische Abschottungspolitik zur Tagesordnung gehören?
Karin Beier, zum fünften Mal bei der wohl wichtigsten Plattform des deutschsprachigen Theaters vertreten, versucht es in ihrem „Europäischen Requiem“ mit Slapstick und bitterböser Ironie. In Anlehnung an Fellinis legendäre Vorlage von 1983 porträtiert sie ein Orchester-Ensemble, das zur Seebestattung seines verblichenen Dirigenten auf dem Luxusliner „CS Europa“ ein letztes Stück einübt.
Eineinhalb Stunden lang zieht diese feine Gesellschaft vor der Urne ihres Meisters eine schrille Nummernrevue ab. Es geht, manchmal etwas gewollt witzig, um Hummer-Carpaccio und Libido, Schlafstörungen und Rilke, Sterben und Stottern - bis der Luxusliner im Mittelmeer eine Gruppe Schiffbrüchiger aufnimmt.
Die Geretteten wollen sich mit ihrer unfreiwilligen Opferrolle nicht abfinden. Fünf schwarze Performer kapern die Bühne und drehen den Spieß um. „Wir sind gekommen, um euch zu helfen, euch etwas zurückzugeben“, ruft der Vorsprecher, ehe er forsch und selbstbewusst eine Lehrstunde über die Deutschen als „Aussterbende Art“ eröffnet.
Am Schluss der mehr als dreistündigen Inszenierung gilt der Applaus besonders den brillanten Darstellern, allen voran Charly Hübner, Michael Wittenborn, Julia Wieninger und Lina Beckmann. Dagegen kann der moralische Zeigefinger im zweiten Teil und der verkitschte Schluss mit einem afro-europäischen Gemeinschaftstanz nicht jeden überzeugen.
Thomas Oberender, der Intendant der Berliner Festspiele, sieht die Inszenierung als Ausdruck einer neuen Theatersprache. „Es ist die Zeit der offenen Form - mehr Flexibilität, mehr Nähe zum Publikum“, sagt der 49-Jährige am Freitag zur Eröffnung des Festivals.
Einen Kontrapunkt setzt tags darauf die junge Theatermacherin Daniela Löffner mit dem Stück „Väter und Söhne“ nach einem Roman von Iwan Turgenjew. Vier Stunden dauert die Aufführung von den Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin, und doch gibt es in diesem stringent und klar durchkomponierten Generationendrama keine überflüssige Sekunde.
Ohne Schnickschnack, Videoinstallation oder Soundmaschine vertraut die Regisseurin allein auf die Kraft des Schauspiels - ein klassischer und doch sehr neuer Theaterabend. Löffner, Jahrgang 1980, gehört zu der jungen Generation, die das Festival in dieser Saison prägt: Die Hälfte der geladenen Regisseure sind Newcomer. Der Jury trug die Auswahl allerdings erneut den Vorwurf ein, sie wolle es mit ihrem Sammelsurium mal wieder allen recht machen.
Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) blieb es überlassen, zur Eröffnung an die verbindende Kraft des Theaters zu erinnern. „Kultur schafft Identität und ist unser stärkster Integrationsmotor“, sagte sie auch mit Blick auf die Flüchtlingskrise. „Wir brauchen diese Orte der Selbstvergewisserung - heute mehr denn je.“