Schlingensief: Spezialist für Ängste und Provokationen

Christoph Schlingensief, der große Unruhestifter und Kreativkopf, ist seinem Krebs erlegen.

Berlin. "Nach einem Sinn suchen? Ich versteh’s nicht" - eine der letzten öffentlichen Äußerungen von Christoph Schlingensief, im Endstadium seiner Krebserkrankung. Am Samstag ist der Film-, Theater- und Opernregisseur, der Aktionskünstler und Autor im Alter von 49 Jahren in Berlin gestorben. Im Oktober wäre er 50 geworden, dann sollten seine Memoiren erscheinen.

Diese dürften nicht eben schmal ausfallen, denn der Sohn eines Apothekers und einer Krankenschwester aus Oberhausen war immer atemberaubend produktiv. Grenzen waren für ihn nur dazu da, überschritten zu werden - er scherte sich nicht um Genres, Geschmack und die eigene Belastbarkeit.

Schräg, verspielt und medienwirksam waren viele seiner Aktionen. 1998 gründete er die Partei Chance 2000 und forderte die vier Millionen deutschen Arbeitslosen auf, gleichzeitig im Wolfgangsee zu baden, um ihn zum Überlaufen zu bringen und dadurch das Ferienhaus von Helmut Kohl zu fluten. Es gab eine hübsche Aufregung, physikalisch entbehrte die Aktion jeder Grundlage. Doch Schlingensief schaffte es wie kein anderer, über die Kunstszene hinaus ins Bewusstsein der Menschen vorzudringen. Wer je etwas von ihm gesehen hat, vergisst es nicht.

Doch Schlingensief konnte auch Hochkultur - in Bayreuth inszenierte er zwischen 2004 und 2007 den "Parsifal". Nachdem bei dem Nichtraucher 2008 Lungenkrebs festgestellt worden war, intensivierte er seine Arbeit noch, ging öffentlich mit seiner Krankheit um. 2009 schrieb er das Tagebuch "So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein" und verabschiedete diesen alten "Halli-Galli-Christoph".

Nun drängten die großen Lebensthemen nach vorn. Im Februar legte er in Burkina Faso den Grundstein für sein afrikanisches Operndorf. Dann inszenierte er die Nono-Oper "Intolleranza" in Brüssel, Hamburg und Wien. Die Premiere von "S.M.A.S.H." bei der Ruhrtriennale musste er absagen. Weder die Uraufführung an der Berliner Staatsoper im Oktober noch den deutschen Pavillon bei der Biennale von Venedig 2011 konnte er noch realisieren.

Ein privates Anliegen hat er rechtzeitig umgesetzt. Im vorigen Sommer hat er seine langjährige künstlerische Mitarbeiterin Aino Laberenz geheiratet. Am Samstag ist er, wie sie sagt, "im Kreis seiner Familie" gestorben.