Wagner-Festspiele: Zurück in die Vergangenheit
Bayreuth: Die Wagner-Festspiele glänzen zwar durch drei grandiose Debüts im neuen „Lohengrin“ – doch die Intendanz verschläft den Fortschritt.
Bayreuth. Die Ratten sind los auf dem grünen Hügel. Und auch bei der zweiten Vorstellung des "Lohengrin" zeigte das Publikum seinen Unmut über Hans Neuenfels’ Inszenierung, die Richard Wagners Märchen-Oper in ein Labor mit Versuchsratten verwandelt (wir berichteten). Kaum fiel der Vorhang nach dem Schlussakt, drangen schon zahlreiche Buhs durch den ansonsten eher mäßig starken Applaus. Umso größer fiel der Jubel wenig später aus, als Sänger und Dirigent vor den Vorhang traten.
Musikalisch gesehen gibt es in Bayreuth, zumal beim "Lohengrin", einen Generationswechsel: Der weltweit gefeierte Tenor Jonas Kaufmann (Lohengrin), die glänzende Mozart-Sopranistin Annette Dasch und der fulminant dirigierende junge Pultstar Andris Nelsons (32) sind allesamt Bayreuth-Debütanten. Das vierte Debüt, in Form der umstrittenen Inszenierung des Regisseurs Hans Neuenfels (69), steht dagegen keineswegs für einen Neuanfang, sondern für das mittlerweile in die Jahre gekommene Prinzip der Verfremdung und Entzauberung des musealen, aber zeitlos schönen Repertoires.
Zwar waren es noch die verstorbenen Festspiel-Leiter Gudrun und Wolfgang Wagner, die Neuenfels engagiert hatten, doch ein Blick auf die Meistersinger-Inszenierung von Tochter Katharina Wagner, die seit vergangenem Jahr gemeinsam mit ihrer Halbschwester Eva die Festspiele leitet, macht wenig Hoffnung auf Neubesinnung. Auch Richard Wagners Urenkelin setzt ganz aufs Umkrempeln und stülpt dem Stück eine andere Handlung über. Dass es auch anders geht, zeigte unlängst die spanische Gruppe Fura dels Baus bei einem bilderprächtigen, aber keineswegs verstaubten Wagner-Zyklus im fernab von Bayreuth gelegenen Valencia.
Von wahren Innovationen, die Abschied nehmen von den immer öder werdenden Publikums-Irritationen und wieder auf die Aussagekraft der Stücke setzen, ist Bayreuth aber noch weit entfernt. Auch die Öffnung der Festspiele für ein breites Publikum durch das "Public Viewing" erweist sich als halbherzige Neuerung. Denn auf die Leinwand wird lediglich eine einzige Aufführung übertragen.
Und dabei handelt es sich auch noch um die nicht mehr topaktuelle "Walküre". Was nun künstlerisch im Festspielhaus vor sich geht, erfahren also weiterhin nur noch Prominente und solche normalsterblichen Besucher, die zehn Jahre auf eine Karte warten müssen - um dann etwa im "Lohengrin" auf Chorsänger zu blicken, die zwar fantastisch singen, aber in unfreiwillig komischen Rattenkostümen stecken. Und leider schmeckt sie ziemlich fade, die zusammengemischte Bayreuther Rat(t)atouille.