Shermin Langhoff spielt jenseits der Klischees
Berlin (dpa) - Wenn Shermin Langhoff arbeitet, sitzt sie vor der Galatabrücke in Istanbul. Die Chefin des Berliner Theaters Ballhaus Naunynstraße hat sich ein wandgroßes Bild ihres „Sehnsuchtsortes“ ins Büro gehängt.
Als Neunjährige kam sie aus der Türkei nach Deutschland. Heute ist die 41-Jährige eine der erfolgreichsten Theatermacherinnen. Gerade ist eine ihrer Inszenierungen zum Berliner Theatertreffen im Mai eingeladen worden, eine große Ehre für ein Off-Theater. Am 27. Februar erhält sie den Kairos-Preis der Alfred Toepfer Stiftung. Die Auszeichnung ist mit 75 000 Euro einer der höchstdotierten Kulturpreise Europas.
Als Vorbild für gelungene Integration will die Ehefrau des Regisseurs Lukas Langhoff aber nicht gesehen werden. Zumindest nicht nur. Ihr Anspruch sei es, mit ihrer Arbeit „zu zeigen, dass es nicht nur um Herkunft geht“, sagt die 41-Jährige. „Im Gegenteil. Theater wird nicht von Konzepten, sondern von Menschen gemacht.“
Das Ballhaus Naunynstraße leitet Langhoff seit der Wiedereröffnung 2008. Ihre Inszenierung „Verrücktes Blut“ wurde jüngst vom Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ als Hit der Saison gefeiert. Das Theatertreffen bringt das Stück um eine Schulklasse voller Einwandererkinder nun erneut auf die Bühne. Sprachprobleme, Gewaltbereitschaft, sogenannte Kopftuchmädchen - Langhoffs Inszenierungen bedienen sämtliche Klischees und entkräften sie zugleich.
Nach Berlin kam die gelernte Filmproduzentin „der Arbeit und der Liebe wegen“, wie sie sagt. Mit ihrem Mann und ihrer Tochter (12) lebt sie in Kreuzberg. Das Ballhaus Naunynstraße liegt um die Ecke. Die Stücke beschäftigen sich mit dem Thema Integration, die Darsteller sind zumeist selbst Söhne und Töchter von Einwanderern.
„Man kann im Theater einen Blick auf das Große und Ganze werfen“, sagt Langhoff, die früher Kuratorin am Berliner Theater Hebbel am Ufer war. „Der Mikrokosmos von Menschen und ihrer Geschichte ist das Brennglas, durch das wir auf die große Welt schauen.“
Wenn Shermin Langhoff spricht, klingt es mitunter als würde sie aus einer wissenschaftlichen Arbeit zitieren. Den Mikrokosmus, den sie in der Naunynstraße darstellt, nennt sie „postmigrantisch“. Nicht weit vom Theater reihen sich Dönerbuden und türkische Backstuben aneinander. Das Ballhaus Naunynstraße sei „durchaus auch lokal verortet“, sagt Langhoff. Ein wenig kokettiert sie mit dem Status des Hinterhof-Theaters.
Dabei ist das Ballhaus längst über die Stadtgrenzen hinaus bekannt: Als Theater, das sich nicht nur in ein oder zwei Inszenierungen mit Integration befasst. Kulturschaffende und Kiezbewohner sitzen hier Seite an Seite im Publikum. Regisseure wie Fatih Akin und Neco Çelik unterstützen das Haus.
„Unser Interesse ist es, Wahrnehmungen zu prüfen und zu hinterfragen, was das Anderssein und die Konfliktzonen ausmacht.“ Genüsslich zieht Langhoff an einer Zigarette und nippt an ihrem schwarzen Tee. „Theater ist da besonders spannend, wo es Fallhöhe gibt, wo es Konflikte gibt.“
Der Kairos-Preis ist für sie eine Bestätigung ihrer Arbeit. „Ich sehe ihn als Motivation, nicht nur für meine Person, sondern auch für andere, die in denselben Kontexten agieren.“ Ihre Pläne? „Solange mein Interesse an der Gesellschaft vorhanden ist, werde ich weitermachen. Im Moment gibt es noch genug zutun.“