Theaterpremiere: Mit Courage im Nachtclub

Die Wuppertaler Bühnen zeigen Bertolt Brechts Klassiker. Ingeborg Wolff als Hauptdarstellerin verabschiedet sich.

Wuppertal. Wer sich von "Mutter Courage" nicht angesprochen fühlt, der ist nicht zu retten: Die Marketenderin (Ingeborg Wolff), die am Krieg gewinnen will und darüber ihre Kinder verliert, steht selbstbewusst vor einem Mikrofon und spricht direkt ins Publikum. Ungebrochen, unnachgiebig, unverblümt. Sie sagt gerade heraus, was sie denkt - als ob sie keinen Wert auf einen Dialog mit denen legt, die ihr bereits nahe stehen, sondern lieber die Zuschauer im Blick hat, denen sie Leid und Reiz des Kriegs erst noch nahe bringen will.

Denn "Mutter Courage und ihre Kinder" sind in Wuppertal angekommen - auch wenn das bekannteste Merkmal des Brecht-Stücks gar nicht dabei ist. Ohne Planwagen lässt Regisseur Robin Telfer Mutter Courage ins Schauspielhaus ziehen, stattdessen bekommt die Überlebenskünstlerin einen Nachtclub.

Ein Star, eine strahlende Heldin ist sie deshalb noch lange nicht. Kriegstaugliche Wanderschuhe trägt sie unterm roten Abendkleid: Es sind die wohl dosierten Brüche, die überraschen - und passen. Auch die Bühne von Siegfried E. Mayer setzt auf markante Brüche: Dorf-Ruinen, schwarze Nachtclub-Stühle und brennende Fässer sorgen für eine wahrhaft düstere Szenerie.

Dazu gehören auch ein verdreckter Brecht-Samtvorhang, den die Protagonisten selbst hin- und her schieben. Keine Frage: Die Ölfässer lehren uns: Heute regieren Rohstoffe die Welt - im Gegensatz zum Dreißigjährigen Krieg, in dem es keine Globalisierung, keine Handys, keine Aktien gab.

Telfer verdichtet Fragen, Antworten gibt er nicht. Wie auch? Dass eine Mutter alles tut, um selbst nicht unterzugehen, ist genauso grausam wie verständlich. Das wohl bekannteste Anti-Kriegsstück der deutschen Literatur ist deshalb allerhand: Lehrstück, Familiendrama und Chronik zugleich.

Und so ist auch die findige Geschäftsfrau, die eine praktische Hängetasche über der Abendrobe trägt, weder zu bemitleiden noch zu feiern: Sie ist Opfer und Täterin, Wahrheitssucherin und Lügnerin. Sie verleugnet die eigenen Kinder - und schützt sie doch.

Es braucht etwas Zeit, um mit der dichten Inszenierung warm zu werden. Doch spätestens, als ihr Sohn Schweizerkas (Henning Strübbe) gehängt wird, geht die Geschichte von Anna Fierling, von allen nur Mutter Courage genannt, unter die Haut. Sie wird gesungen, erzählt, erinnert.

Telfer stellt Patriotismus und Profitgier mit pointierter Tragikomik dar: Bauern singen in vermeintlicher Trachten-Idylle, Menschen zeigen Aktionismus im Zeitraffer oder schunkeln mit Kappen auf dem Kopf - wie beim Kindergeburtstag. Das alles sind kurze, eindringliche Szenen, doch eigentlich gehört die Bühne der grandiosen Ingeborg Wolff, die sich mit einer Paraderolle aus dem Ensemble verabschiedet.

Wie ihre Mutter Courage mit Witz und Verstand, List und Härte ihre drei unehelichen Kinder durchs karge Leben bringen will, wie sie schonungslos gegen sich und alle anderen bleibt, ist atemberaubend spannend.

Auch, weil die großartige Hauptdarstellerin ein eingespieltes Ensemble um sich hat: Julia Wolff hat einige glänzende Szenen als Hure Yvette, Günter Lehr präsentiert die Musik von Paul Dessau am Klavier - auf offener Bühne. Und Maresa Lühle, die eigentlich stumme Tochter Kattrin, fällt aus ihrer Rolle und listet heutige Kriegsgebiete auf. Doch bevor sich der pädagogische Zeigefinger allzu sehr erhebt, kommt Conférencier Hans Richter ins Spiel - dem man deshalb noch mehr Auftritte wünschen würde.

Warum die Rahmenhandlung Mutter Courage zur (zeitlosen?) Nachtclub-Sängerin macht, erschließt sich nicht unbedingt - gibt es doch viel bessere aktuelle Bezüge: Ein TV-Team filmt Kriegsopfer, über Monitore flimmern Börsenberichte und Teleshopping-Angebote.

Käuflichkeit ist omnipräsent. Selbst eine Premierenpanne passt ins Bild: Dass einer der drei Fernseher früh seinen Geist aufgab und schwarz blieb, beweist, dass am Ende doch nicht alles planbar ist. Nicht im Theater und nicht im Krieg. 2 Stunden, ohne Pause, nächste Auff.: 31.8., 15 Uhr, 2., 3., 4., 6.9., 19.30 Uhr; Karten: 0202/569-4444