Ohne Kitsch „Titanic“: Musicalpremiere bei Bad Hersfelder Festspielen
Bad Hersfeld (dpa) - „Titanic“ kann auch anders funktionieren. Untergehen muss der Luxusdampfer natürlich auch in der Bühnenfassung. Aber es braucht nicht unbedingt eine dominierende Liebesgeschichte, um die Herzen der Zuschauer anzusprechen.
„Titanic“ geht auch ohne Kitsch und Gefühlsduseleien im seichten Fahrwasser der Gefühle. Regisseur Stefan Huber tritt bei den Bad Hersfelder Festspielen den Beweis an. Er präsentierte am Freitagabend bei dem Freilicht-Theaterfestival eine imposante Premiere. Die mehr als 1300 Zuschauer in der ausverkauften Stiftsruine bedachten die zweieinhalbstündige Vorstellung mit viel Applaus.
Das Publikum sah ein aufwendiges und beeindruckendes, wie auch stimm- und bildgewaltiges Musical mit etwa 40 Sängern und Tänzern. Das spielfreudige Ensemble begeisterte die Zuschauer sichtbar und animierte sie mehrfach zu kräftigem Szenenapplaus. Die Festspiele hatten eine mitreißende Geschichte über Größenwahn, Selbstüberschätzung und Untergang über den Mythos des im Jahr 1912 gesunkenen Ozean-Riesen versprochen - und hielten Wort.
Mit dem Kino-Hit von Regisseur James Cameron mit Kate Winslet und Leonardo DiCaprio in den Hauptrollen hat das Musical aber wenig zu tun. Es war 1997 am Broadway in New York auch bereits vor der Filmpremiere uraufgeführt worden. Die Bad Hersfelder Fassung konzentriert sich ebenfalls nicht auf die Liebesgeschichte zwischen Jack und Rose. Das Stück nimmt viele persönliche Schicksale und die Unterschiede zwischen den gesellschaftlichen Klassen in den Blick.
Star-Regisseur Dieter Wedel lobte die Leistung Hubers, der im deutschsprachigen Raum zu den Top-Leuten zählt. Er urteilte nach der Premiere: „Hervorragend inszeniert.“ Nach seiner Festspieleröffnung im Juni mit der Uraufführung von „Martin Luther - Der Anschlag“ sagte der Intendant: „Die Festspiele sind auf einem guten Weg.“
Auf seinem Weg zum Premieren-Erfolg ließ sich das homogene Ensemble auch nicht von starkem Regen auf der Freilichtbühne stören. Das gut abgepasste Zusammenspiel wirkte weitgehend punktgenau und ohne Timing-Patzer. Die Tanzeinlagen beeindruckten (Choreographie: Melissa King), die Klänge aus dem Orchestergraben unter der musikalischen Leitung von Christoph Wohlleben ebenso.
Starke Szenen hatte das Musical immer wieder, wenn das Ensemble große Formationen bildete. „Wir wollten mit Menschen große Bilder schaffen“, erklärte Huber. Emotionale Momente schuf Huber auch, indem er neben gefühlvollen Balladen, Soli und Duetten und auch immer wieder Chöre arrangierte, die wie gewaltige Wellen auf das Publikum zurollten. Angesichts der hohen Gesangsanteile sagte der Schweizer Regisseur: „Das Musical hatte Anflüge einer Oper. Viele Dialoge wurden ja singend verhandelt.“
Das Bühnenbild besteht hauptsächlich aus hohen Gerüsten. Sie bilden die Schiffsdecks der ersten, zweiten und dritten Klasse. Auf der Kommandobrücke der Bad Hersfelder „Titanic“ steht Michael Flöth als Captain E.J. Smith. Er gibt einen honorigen, mustergültigen Kapitän von Format mit weißem Bart. Er knickt aber unter dem Druck von Reeder J. Bruce Ismay (Frank Winkels) ein und lässt sich auf die Rekordjagd einer schnellen Atlantik-Überfahrt ein.
Regisseur Huber, der zur Vorbereitung auf das Musical eine Schiffsreise nach New York unternahm, gelingt in seiner Inszenierung das Kunststück, auf große Knall-und Show-Effekte zu verzichten, ohne Wirkung einzubüßen. Hubers Kapitän begrüßte das unaufgeregte Konzept: „In Musicals wird mittlerweile zuviel Wert auf opulente Bilder gelegt. Hier wurde die Optik reduziert, um auf den Kern des Stücks zu kommen“.
Flöth sagte, das Besondere der Bad Hersfelder Inszenierung sei die intensive Charakterzeichnung der handelnden Personen. Er muss es wissen. Denn Flöth ist zum dritten Mal „Titanic“-Kapitän und hat Vergleichsmöglichkeiten. Er spielte auch 2002 bei der deutschen Erstaufführung in Hamburg mit. Mit der Verfilmung soll das Musical sich nicht messen müssen: „Das Publikum will ja gern Bekanntes sehen. Aber wir wollten hier etwas Anderes zeigen.“