Xin Peng Wang: Tanzstar mit Hang zur Literatur
Mit gerade einmal 22 Tänzern zeigt Xin Peng Wang in Dortmund, dass modernes Ballett auch ohne großes Ensemble funktioniert.
Dortmund. Ballettensembles — an städtischen Opernhäusern in NRW mittlerweile eine Ausnahme-Erscheinung — laufen der Opernsparte oft den Rang ab. Nicht nur in Düsseldorf hört man Hymnen über das Ballett von Martin Schläpfer, während Opernpremieren seltener Beachtung finden.
Auch in Dortmund stiehlt der Tanz der Musik die Schau: Seit elf Jahren setzt der Ballettchef Xin Peng Wang (57) in der BVB-Stadt auf einen Mix aus klassischen Repertoireschlagern, neuen Spitzentanz-Kreationen, modernem Ballett und erzählerischem Theater. Schwanensee, Nussknacker und Familien-Märchen inklusive.
So schaffte der gebürtige Chinese Xin mit einem relativ kleinen Ensemble von 22 Tänzern (das Ballett in Düsseldorf hat 48) den Sprung in die Ballett-Bundesliga. Neben eigenen originellen Klassiker-Fassungen gelingt es ihm aber auch, Stücke von heutigen Tanz-Titanen wie William Forsythe einzukaufen und so die Tanzszene zu beleben.
Der Chinese aus der Sechs-Millionen-Metropole Dalian, der vor mehr als 20 Jahren in den Westen kam, ging kürzlich mit seiner bejubelten Inszenierung „Der Traum der roten Kammer“ nach Hongkong. Er sorgte in der Metropole für Furore und Schlagzeilen, die schnell auch in Europa die Runde machten.
Wang macht sich seit Jahren einen Namen mit vertanzten Werken der Weltliteratur, wie mit Tolstois „Krieg und Frieden“. Auch der „Traum der Roten Kammer“ erzählt von Aufstieg und Fall einer Aristokraten-Familie. In seiner modernen Deutung nutzt Xin die Gelegenheit, neben Mythen auch Maos menschenverachtende Kulturrevolution und das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens von 1989 per Videoprojektionen zur Sprache zu bringen.
Was für europäische Augen und Ohren eher harmlos wirkt, löste in Hongkong Tumulte aus und brachte die Zensoren auf die Palme. Sie strichen Ende Oktober, nach der ersten Aufführung, entscheidende Szenen heraus. Erst nach lautem Protest westlicher Medien und Diplomaten war das ungekürzte Opus in Hongkong wieder zu sehen.
Derzeit bereitet Xin die „Geschichten aus dem Wiener Wald“ vor — erneut ein Literatur-Ballett, das Ende Februar seine Uraufführung feiert. In dem wohl bekanntesten Theaterstück des Schriftstellers Ödön von Horváth — geschrieben Ende der 20er Jahren, zur Zeit der Weltwirtschaftskrise — beleuchtet Wang bewusst den Ursprung des Titels. Und damit den Walzer „Geschichten aus dem Wiener Wald“ von Johann Strauss Sohn.
So werden Dortmunds hoch getrimmte Solisten — wie Monica Fotescu-Uta und Gal Mazor Mahzari — in Xins Choreografie den Dreivierteltakt rauf- und runterkonjugieren. Man darf gespannt sein, wie der Chinese Horváths düstere Tableaus in Ballettbilder bringen wird. Sicherlich wird auch er den Finger in die Wunde legen und die Verlogenheit der walzerseligen Wiener Gemütlichkeit entlarven.