Ballett Zutiefst menschliche Tanzkunst
Zwei frühe Meisterwerke und eine Uraufführung von Martin Schläpfer zeigt der neue Ballettabend in Düsseldorf.
Düsseldorf. Es ist schön, dass die Kunst einem manchmal die Tränen in die Augen treibt. „Der Grüne Tisch“ von Kurt Jooss berührt in dieser Weise. Es ist das dritte von drei Tanzstücken des neuen Düsseldorfer Ballettabends, der am Freitag Premiere feierte und immerhin fast drei Stunden dauert. Jooss’ Kreation wurde 1932 zum ersten Mal in Paris gezeigt und erhielt einen wichtigen Tanzpreis, weil sie hochpolitisch und zutiefst menschlich ist. Die große Pina Bausch lernte von ihrem Lehrer Kurt Jooss, dem Mitbegründer der heutigen Folkwang Universität in Essen, ihr Gespür für die Gegenwart zu schärfen, das ihrem Tanztheater bis heute seine Einzigartigkeit verleiht.
„Der Grüne Tisch“ ist ein expressives Stück über den Krieg. An einem Konferenztisch schwadronieren zehn Herren im Frack und mit fratzenhaften Masken über die politische Lage. Als sie entscheiden, die Männer in den Kampf zu schicken, spielt ein Klavier elegante Caféhausmusik. Fern des Schlachtfelds lässt es sich ganz gut ertragen, über das Leben und Sterben anderer zu bestimmen. In acht Bildern hat Jooss eine bedrückende Szenerie des Leids entworfen. Er war beeinflusst vom Unheil des 1. Weltkriegs, in den seine beiden Brüder gezogen waren, und er ahnte wohl, wohin Weltwirtschaftskrise und NSDAP führen würden.
Gewiss haftet dem „Grünen Tisch“ Patina an. Dass dies 84 Jahre alte Werk dennoch bis ins Mark erschüttert, hängt mit der starken Figur des Todes zusammen, die Jooss schuf. Der Sensenmann pflückt die Soldaten erbarmungslos aus dem Dasein. Dabei starrt er eindringlich ins Publikum, dass es einen schaudert. Chidozie Nzerem vom Ballett am Rhein meistert die überaus anstrengende Partie bravourös.
Er stampft die Klavierakkorde des Komponisten Fritz A. Cohen in den Bühnenboden und versetzt seinen Körper in höchste Anspannung. Einer der ergreifendsten Momente jedoch ist jener, da der martialische Hüne zum Gefährten einer alten Frau wird, die das Schicksal ihres gefallenen Sohnes beweint. Der Tod erlöst sie von der Pein. Mit der Behutsamkeit eines zärtlichen Liebhabers nimmt er sie in seine Arme und trägt sie mit sich fort. Am Ende sitzen die zehn Männer wieder zusammen, und die Konferenz beginnt von neuem. Solche Herren wird es immer geben, sagte Jooss, als er einmal gefragt wurde, wer denn diese Leute seien.
„Der Grüne Tisch“ ist das stärkste Stück des Abends. Zu Beginn gibt es einen meisterlichen George Balanchine zu Igor Strawinskys „Duo Concertant“ für Violine und Klavier. Die größtmögliche Einheit von Musik und Tanz, die Balanchine stets anstrebte, ist hier in Reinform zu erleben. Jede Note ein Schritt ist das unausgesprochene Credo des Stücks, das immense Anforderungen an die Tänzer stellt. Ann-Kathrin Adam und der vor wenigen Wochen mit dem deutschen Tanzpreis „Zukunft“ geehrte Marcos Menha erfüllen diese Aufgabe virtuos.
Zwischen die Tanzkunst-Prinzipalen Balanchine und Jooss hat Martin Schläpfer, Chefchoreograf des Ballett am Rhein, seine Uraufführung „Variationen und Partiten“ gesetzt, zu Kompositionen von Beethoven und Bach. Schläpfer stellt die musikalische Strenge des gottesfürchtigen Bach Beethovens ungewohnt verspielten und unpathetischen Variationen über ein Menuett aus dem Ballett „Le nozze disturbate“ gegenüber. Die Tänzer tanzen lassen“ steht wohl unsichtbar über dem neuen Werk.
Zu zweit, zu dritt und in großen Schwärmen kommen sie zu immer neuen Bildern zusammen. Wunderschöne funkelnde Elemente, die sich jedoch nicht zu einem glänzenden Diamanten zusammenfügen. Es fehlt das große Ganze, das Schläpfer seinen Kreationen sonst zugrunde legt und sie so besonders macht.